Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
ergebe 2 x π, dann können Sie sich mit einem langen Maßband und einem Theodoliten bewaffnen, eine Pauschalreise zu den Pyramiden buchen und nachmessen. Weil die meisten Verschwörungstheorien aber Dutzende bis Hunderte solcher Behauptungen enthalten, ist das Verfahren der direkten Überprüfung nicht praktikabel. Ist vielleicht die weltweite Verbreitung einer Theorie oder eines Buches ein ausreichender Garant für die Richtigkeit seiner Behauptungen? Schließlich, so könnte man argumentieren, sollte die Wahrheit sich durchsetzen, wenn mehrere Millionen Menschen ein bestimmtes Buch lesen und kritisch beurteilen. Das ist leider falsch: Die Popularität eines Buches ist kein Beweis, ja nicht einmal ein Anhaltspunkt für den Wahrheitsgehalt der darin aufgestellten Behauptungen.
Wahrheit
ist ein ausgesprochen nebelhaftes Gebilde. Die Philosophie kennt nicht einmal eine einheitliche Definition dafür. Es gibt also nicht einmal einen »wahren« Begriff von der Wahrheit.
Selbst der »wahre« Verlauf einfacher Ereignisse lässt sich oft genug nicht rekonstruieren. Bei einem Autounfall widersprechen sich Zeugen und Beteiligte so regelmäßig, dass vollkommen übereinstimmende Aussagen bei der Polizei den Verdacht erwecken, die Zeugen hätten sich abgesprochen.
Der »wahre« Ablauf historischer Ereignisse ist noch schwerer nachzuweisen. Warum hat Napoleon die Schlacht bei Waterloo verloren? Hat sich Caesars Ermordung wirklich so abgespielt wie überliefert? Für viele geschichtliche Ereignisse haben wir nur wenige Quellen, manchmal nur eine einzige. Ein Beispiel: Der römische Schriftsteller und Historiker Tacitus hat im Jahre 98 n. Chr. die einzige überlieferte volkskundliche Darstellung der Germanen geschrieben. Er wollte seinen dekadenten Landsleuten die einfache und unverdorbene Lebensweise der Germanen als Spiegel vorhalten. Heute weiß niemand mehr, ob Tacitus korrekt berichtet hat oder ob er die damaligen Originalquellen im Sinne seiner Botschaft zurechtgebogen hat. Sicher ist, dass er nicht aus eigener Erfahrung schrieb, denn er hat Germanien niemals bereist. Vieles von dem, was wir über die Germanen zu wissen glauben, stammt also von einem Schriftsteller, der die Stämme im kalten und nebligen Norden nie besucht hat, keine ihrer Sprachen beherrschte und der sein Werk durchaus mit einer bestimmten Absicht verfasst hat.
Für die neuere Zeit sieht es zwar etwas besser aus, aber gerade bei wichtigen Ereignissen entzieht sich die Wahrheit oft genug der genauen Festlegung. Wie viele Schüsse wurden in Dallas auf John F. Kennedy abgefeuert? Aus welcher Richtung kam der tödliche Schuss? Hat ein Schütze die Kugeln abgefeuert oder waren zwei Täter beteiligt? War es ein Auftragsmord? Tausende von Menschen sahen das Attentat, es wurde sogar gefilmt, und trotzdem bleiben Zweifel. Tatsächlich hat kaum ein Ereignis mehr Autoren inspiriert als Kennedys Ermordung. Sie alle ordnen die vielen bekannten Fakten und Gerüchte jeweils so, dass sie auf eine bestimmte Tätergruppe deuten, wie z.B. auf die CIA , die Mafia, den KGB oder den kubanischen Geheimdienst. Die Glaubwürdigkeit ihrer Verschwörungstheorie
hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Leser der angeschuldigten Tätergruppe eine Verschwörung zum Präsidentenmord überhaupt zutrauen.
Jede Verschwörungstheorie fußt auf einem Verschwörungsglauben. Nur wenn eine genügend große Zahl von Menschen die Grundthesen dieses Glaubens akzeptiert, kann daraus eine erfolgreiche Verschwörungstheorie entstehen.
Glaubwürdigkeit eines Verschwörungsglaubens
Ein
Verschwörungsglauben
ist zunächst einmal Ausdruck des Misstrauens gegen eine andere soziale oder ethnische Gruppe. Beispiel: »Die Katholiken planen ein Massaker gegen die englische Zivilbevölkerung.« – englischer Verschwörungsglauben des 17 . Jahrhunderts. Oder: »Die amerikanische Regierung geht heimlich mit verbrecherischen Mitteln gegen alle vor, die ihnen im Wege stehen« – ein aktueller Verschwörungsglauben, wie er im Internet vielfach nachzulesen ist.
Ein von vielen Menschen geteiltes Misstrauen aus der Welt zu schaffen ist fast unmöglich. Die deutsche Sprache kennt kein Wort für die völlige Aufhebung von Misstrauen. Im Gegensatz zum Vertrauen, das vernichtet oder zerstört werden kann, lässt sich Misstrauen lediglich zerstreuen, also quasi verdünnen. Es kann in Vergessenheit geraten oder als überholt belächelt werden, lebt aber schnell wieder auf, solange die eigene und die fremde
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