Freiwild Mann
sich vom Grenzregiment versetzen lassen, ins zivilisierte Leben zurückkehren, von schönen Frauen umgeben. Sie könnte sich wieder in bequemen Betten wohlfühlen, intelligente Unterhaltungen führen, zivilisierte Liebe genießen, elegant essen gehen.
Nur wären dann die Erinnerungen da, Bruchstücke einer wilden Schönheit, der rauhe Widerhall der Lust.
Diarmid stöhnte im Schlaf. Sein Arm zuckte. Sie schaute sich die Naht an, jene Naht, die sie in das lebende Fleisch genäht hatte. Es gab kein Zurück. Es blieb nur die Vervollständigung der unausbleiblichen Tragödie.
Was für eine Frau war Flora MacDiarmid gewesen? Hatte auch sie nachts wach gelegen, die Stunden gezählt, sich über die schreckliche Durchhaltekraft dieses Dinosauriers gewundert, der ein Mann war?
Es gab zu viele Fragen und überhaupt keine Antworten. Vor Tagesanbruch döste Rura ein wenig. Der Regen hörte auf. Die Welt schien voll Schweigen zu sein.
Diarmid erwachte, streckte sich, stöhnte wegen der Steifheit seines Körpers und der Schmerzen in seinem Arm. Er berührte Ruras Brüste, streichelte sie, umfaßte sie, brachte das Leben in ihrem Fleisch zur Wallung, zerstörte die flüsternden Qualen der Nacht.
„Romeo und Julia“, sagte er. „Ich hatte einmal ein Buch von Shakespeare. Es gehörte meinem Vater. Er hatte nie Zeit genug, mir das Lesen beizubringen, aber er hat mir vorgelesen. Es war ein Schauspiel über zwei Kinder, die sich vor langer Zeit geliebt haben. Die Familien bekriegten sich gegenseitig, oder der Streit war zumindest einem Krieg so ähnlich, daß es keinen Unterschied machte. Jedenfalls ging es Romeo und Julia wirklich dreckig, und am Ende sind sie gestorben, und die Familien haben bemerkt, daß es wirklich ziemlich dumm war weiterzukämpfen.“
„Ich kenne das Stück“, sagte Rura. „Unsere Familien hören nicht auf zu kämpfen – nicht, bis eine auf der Strecke geblieben ist.“
„Und wir sind auch nicht zwei Kinder. Heute morgen fühle ich mich, als sei ich hundert Jahre alt. Meine Leute liegen da draußen, tot, genau wie ein paar von deinen. Und das geht so weiter. Keiner von uns kann dem Einhalt gebieten. Noch nicht einmal Curie Milford, die bequem in London sitzt und mit leeren Worten weiblichen Pöbel aufhetzt. Ich fürchte mich.“
„Du fürchtest dich?“ Er lachte bitter auf. „Hast du wohl nicht für möglich gehalten, was, Mädel? Irgendjemand, der schon lange tot ist, hat einmal gesagt, daß Mut ein unwiederbringlicher Schatz ist. Du kannst ihn benutzen, aber du kannst ihn nicht zurückgewinnen. Ich habe in meinem Leben eine ganze Menge verbraucht, glaube ich. Und jetzt habe ich Angst.“
Rura küßte ihn. „Es ist keine Schande, sich zu fürchten, Diarmid.“
„Darum geht’s nicht, Liebling. Mein Volk ist gestern gestorben. Aber ich habe andere Möglichkeiten. Ich kann eine neue Kampftruppe aufbauen, oder ich kann meine Kraft einem anderen Herrn anbieten. Außerdem habe ich ein Frauto, eine ausgebildete Fahrerin und mehr Waffen zu meiner Verfügung als je zuvor. Diarmid MacDiarmid kann immer noch eine Kraft sein, die das Blut in den Adern derer gerinnen läßt, die ihre Rationen in Carlisle empfangen. Aber ich fürchte mich. Ich fürchte mich davor, Entscheidungen zu treffen. Furcht lähmt meine Wirksamkeit. Verstehst du?“
„Ich verstehe, daß du in letzter Zeit viel mitgemacht hast. Du bist verwundet und müde.“
Diarmid umfaßte fest ihre Brust. „Du begreifst immer noch nicht, Rura. Ich habe soviel verloren, und jetzt bist du alles, was ich noch verlieren kann.“
Seine Finger taten ihr weh, aber sie versuchte, den Schmerz nicht zu beachten. „Auch du bist alles, was ich habe. Ich mußte erkennen, daß ich eine Verräterin bin. Ist das nicht genauso schlimm, wie wenn du erkennen mußt, daß du ein Feigling bist?“
Er lockerte seinen Griff. „Aha. Wir verstehen einander. Der Preis für ein paar friedvolle Stunden auf einer Insel war höher, als ich dachte. Ich bin müde, Rura. Ich muß mich erholen.“
„Das wirst du auch tun. Ich werde mich um dich kümmern.“ Sie lachte. „Es ist meine Pflicht. Mir wurde gesagt, daß ich deine Frau bin.“
„Glaubst du es?“
„Bist du mein Mann?“
„Eine Antwort für eine Antwort. Ja, ich bin dein Mann.“
„Dann muß ich es glauben.“
„Rura, jetzt hör mir zu: So sehe ich die Situation, militärisch und psychologisch. Wir haben hier einen demoralisierten Ex-Kommandeur einer Guerilla-Truppe und eine ehemalige
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