Freiwild
meinem Rücken entlang, aber das reichte noch nicht. Trotzig befahl ich ihm hysterisch: „Noch härter! Mach das alles weg!“. Meine Stimme überschlug sich. Verzweifelt wand ich mich unter seinen Berührungen, ich wollte nicht so zart angefasst werden: „Fester! Bitte!“. Mit zusammengebissenen Zähnen wollte ich, dass Baumann sämtliche Gefühle aus mir herauswusch. Wut, Ekel, Panik und diese verdammte Hilflosigkeit, all das musste doch irgendwie von mir abzuwaschen sein, wenn man nur fest genug schrubbte. Meine Haut wurde ganz rot und gereizt und ich weinte lautlos.
„ Das reicht, denke ich“, flüsterte Baumann erschüttert über meine Gefühlsausbrüche nach einer Weile und ich resignierte. Es hatte keinen Sinn; meine Empfindungen blieben, egal wie fest er waschen würde.
Schließlich stand er abwartend vor mir, den Waschlappen in der Hand. Meine Tränen vermischten sich mit dem Wasser, das über mein Gesicht lief. Er erschien unsicher, wie er mit mir umgehen sollte und suchte nach dem nächsten Schritt.
„Kann ich Dich mal hinstellen? Ich komme sonst nicht an Deinen Bauch...“, leise sprach er mit mir, sehr bemüht, mich vorsichtig und respektvoll zu behandeln.
„ Baumann...“ Gequält schaute ich ihn an und wollte nicht. Ich wollte für immer unter dem heißen Wasser sitzen bleiben. Ich war so unendlich erschöpft, dass ich einfach nie wieder aufstehen wollte. Wenn ich mich auf das Prasseln der Dusche konzentrierte, dann konnte ich meine Bilder im Kopf ausblenden.
„ Ralf. Ich bin Ralf.“, und nach einer kleinen Pause meinte er: „Komm, steh auf, bitte.“
Ich wollte mich wehren, aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Meine Seele fühlte sich ausgebrannt; dumpf, leer und nutzlos. Mein Innerstes war nach außen umgekrempelt und sehr verletzlich. „Na, komm.“ Liebevoll hob er mich hoch und hielt mich fest, so dass ich mich an ihn lehnen konnte. Ich stemmte mich gegen ihn, wehrte mich gegen diese Intimität, wollte dass er wegging, mich alleine in meinem Schmerz ließ. Mit den Fäusten trommelte ich gegen seine Brust, aber er tat mir den Gefallen nicht. „Lass mich!“. Meine Worte verhallten im Raum. Voll angezogen wie er war, stellte er sich mit unter die Dusche, umschlang mich mit seinen Armen und rührte sich nicht mehr. Ich war gefangen an seinem Oberkörper und hatte nicht die Kraft, mich daraus zu befreien. Wieder war ich hilflos einem Mann ausgeliefert und kämpfte dagegen an. Entsetzt versuchte ich, mich freizustrampeln. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, dass Ralf mir nichts antat. Er stand einfach nur da und hielt mich fest. Schließlich gab ich auf und ließ die Arme hängen. Mühsam und mit letzter Kraft lehnte ich meinen Kopf an seine breite Brust. Diese unerwartete Geborgenheit sprengte die letzten Dämme in mir und ich schluchzte hemmungslos. Endlich konnten meine Gefühle aus mir heraus und meine leidende Seele fand ihren Weg zurück ins Leben. Beinahe fühlte ich mich erlöst, nicht mehr dieser Taubheit ausgeliefert zu sein. Das Wasser lief über uns beide hinweg. Ralfs Brust zuckte; auch er kämpfte mit den Tränen.
Ewig standen wir da, ohne ein Wort, ohne eine Bewegung. Das Wasser prasselte und bildete Rinnsale auf meiner Brust, es lief über sein Gesicht und tropfte aus den schwarzen Haaren. Dann räusperte sich Ralf und meinte leise: „Ich bin ja da. Ich bin ja jetzt endlich da“, und strich mir sanft über den Kopf. Schließlich versiegten die Tränen, mein Schluchzen wurde leiser. Ich nahm den Waschlappen und wusch mich untenrum; immer noch fest von seinen Armen beschützt.
„ Bleibst du heute Nacht hier?“. Ich lag erschöpft in meinem frisch bezogenen Bett. Während ich mich angezogen hatte, hatte Ralf Bettwäsche und sich selbst etwas Trockenes zum Anziehen organisiert. Er stand am Fenster, mit dem Rücken zu mir und benahm sich plötzlich wie ein Fremder, der hier nicht hingehörte. Seine Hände waren auf dem Rücken gefaltet und seine Finger drehten sich unablässig in Kreisen um sich selbst. Die eben noch erlebte Intimität war verflogen und hinterließ eine merkwürdige Atmosphäre. Er drehte sich zu mir um, die Augen rot gerändert: „Möchtest du das?“. Er erschien unsicher und zögerte mit seiner Antwort. „Bitte“, antwortete ich ihm leise. Die Geborgenheit, die er mir gezeigt hatte, hatte ich nicht vergessen und sehnte mich danach. Meine Stimme war immer noch heiser, aber es wurde besser. Seine Kiefermuskeln spielten unter der Haut. Ich
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