Freiwild
wollte nicht alleine im Dunkeln liegen und meinen Gedanken beim Treiben zusehen müssen. Ich wollte an nichts mehr denken. Alles vergessen, alles verdrängen. Ich brauchte Schutz, so wie noch nie in meinem Leben zuvor.
Ralf schien nachzudenken, dann lächelte er zaghaft: „Wenn du das willst, dann bleibe ich.“ Sofort nachdem er das ausgesprochen hatte, schien seine Anspannung zu verfliegen und seine Haltung lockerte sich sichtlich.
„Sag mal, soll ich eigentlich jemanden für dich benachrichtigen?“ Fragend schaute er zu mir herüber, eine Augenbraue hoch erhoben. Ich hatte den Eindruck, dass er lieber das Thema wechselte und sich mit etwas Praktischem beschäftigen wollte, bevor er über das reden musste, was zwischen uns eben passiert war. Ich überlegte, aber mir fiel außer meinem Arbeitgeber niemanden ein, den das interessieren könnte. „Es wäre toll, wenn du der Agentur eine Krankmeldung mailen könntest. Mit dem Fuß kann ich wohl kaum herumlaufen.“ Er nickte: „Sonst noch jemand?“. Ich schüttelte den Kopf. Nein, zu Hause wartete niemand auf Nachrichten von mir. Ich war alleine. Ralf schien erleichtert und schickte sich an, sich ein Lager aus Decken an der Wand gegenüber von meinem Bett zu bauen. Es hätte genauso gut Kilometer entfernt sein können, so schmerzlich empfand ich diesen Abstand zwischen uns. So fest und sicher, wie er mich eben unter der Dusche festgehalten hatte, so alleine fühlte ich mich jetzt. Eben noch waren wir so intim miteinander umgegangen, und jetzt war er ein Fremder. Ich verstand es nicht. „Ralf?“ Er stoppte in seiner Bewegung und sah zu mir herüber: „Ja?“. Ich wusste nicht, ob ich noch mehr Nähe zulassen wollte oder ob ich sie von ihm hätte einfordern dürfen. Einerseits wünschte ich mir diese Sicherheit zurück, die mir seine Arme gegeben hatten, andererseits konnte ich jetzt unmöglich Zärtlichkeiten zulassen. Ich wollte geborgen sein, aber nicht angefasst. „Ich...“, mir fiel beim besten Willen nicht ein, was ich hätte sagen können, um zu erklären was ich wollte. Ich wusste es ja selbst nicht. Nur, dass er so weit entfernt schlafen wollte, das mochte ich nicht. Ich wollte nicht, dass er sich so unpersönlich benahm und hätte gerne gehabt, dass er sich um mich kümmern würde. Aber mir fehlten die Worte. Flehend schaute ich ihn an und biss mir auf die Unterlippe. „Anne“, sagte er sanft, „Du musst mir schon sagen was du möchtest.“ Wieder setzte ich an: „Kannst du... könntest du bitte... vielleicht...“, ich sammelte allen Mut zusammen, „Kommst du hierher zu mir? Bitte.“
Elegant glitt er zu mir herüber uns setzte sich auf die Bettkante: „Besser so?“ „Ja“, sagte ich und kuschelte mich tiefer in meine Kissen. Er war mein Schutz gegen alles, was da vor der Tür sein mochte. Es war besser, ihn festzuhalten. Ich nahm seine Hand und drückte sie leicht. „Danke“, murmelte ich und bevor ich endgültig in einen tiefen, traumlosen Schlaf fallen konnte, hörte ich Ralf noch leise murmeln: „Immer wieder gerne.“
Kapitel 8
Ich bekam die Bilder einfach nicht aus meinem Kopf und konnte nicht mehr schlafen. Noch nie in meinem Leben hatte ich etwas dermaßen Furchtbares erleben müssen und ich hoffte, das auch nie wieder tun zu müssen. Ich hatte am eigenen Leibe erfahren müssen, wie grausam Männer sein können und fürchtete mich davor. Mein Hals brannte und die Rippen taten beim Atmen weh. Wie verkrampft ich gewesen sein musste, merkte ich daran, dass sämtliche Muskeln aufschrien, sobald ich mich nur rührte. Immer noch halb auf meiner Bettkante sitzend, hatte Ralf seinen Rücken gegen die Wand gelehnt und schien tief und fest zu schlafen. In seinem Gesicht zeichnete sich noch immer eine Sorgenfalte senkrecht zwischen den Augen ab. Die Bartstoppeln verliehen seinem Gesicht einen freundlicheren, sympathischeren Ausdruck, als wenn er glatt rasiert war. Es machte ihn menschlicher.
Ich war sehr dankbar, dass er hier war; wunderte mich aber auch, warum er das tat. Die Umarmung unter der Dusche war das Intimste, was ich je erlebt hatte. Viel vertrauter als jeder Sex, bei dem es nur darum ging, seine Gelüste zu befriedigen. Wir hatten, so schien es mir, Seelenstücke anstatt Körperflüssigkeiten ausgetauscht. Ich hatte ihm das Innerste meines Selbst gezeigt und fühlte mich jetzt wie eine Muschel, deren Schale kaputt gegangen war. Im Gegenzug dazu hatte ich den sensiblen Mann erlebt, der Ralf hinter seiner uniformierten
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