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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Speichel aus dem offenen Mund auf die
    Tastatur getropft, und er mußte sich ans Herz fassen, weil das weiterhin so heftig hämmerte. Vor ihm lief der Text über den Bildschirm, und Halvor fing an zu lesen. Er mußte sich auf seinen Schreibtisch stützen und mehrmals zwinkern, während er sich in dem Dokument vorarbeitete. Etwas war geschehen, Annie hatte es aufgeschrieben, und endlich hatte er Zugang dazu. Er las mit großen aufgeregten Augen, und langsam stieg ein entsetzlicher Verdacht in ihm auf.
    Bj0rk hatte sich schon ziemlich einen angetrunken.
    Der Hund saß noch immer unruhig keuchend und mit hängender Zunge da. Sein Blick flackerte. Bj0rk rappelte sich schließlich mühsam auf, stellte die Flasche auf den eiskalten Boden und stieß mehrmals auf. Mit gespreizten Beinen kippte er rückwärts gegen die Wand. Der Hund sprang auf und starrte ihn aus gelben Augen an. Sein Schwanz peitschte zwei- oder dreimal über den Boden. Bj0rk machte sich an seinem Revolver zu schaffen, der in der engen Tasche feststeckte, es gelang ihm, ihn hervorzuziehen und den Hahn zu spannen. Die ganze Zeit starrte er den Hund an und lauschte dessen knirschenden Backenzähnen. Dann schwankte er plötzlich, seine Hand zitterte, aber er konnte sie unter Kontrolle bringen, den Arm heben und abdrücken. Die gewaltige Explosion hallte zwischen den Wänden wider. Sein Schädel platzte. Der Inhalt klatschte gegen die Wand, etwas traf den Hund über der Schnauze. Der Schuß hallte lange nach. Der Hund versuchte, sich loszureißen, aber die Leine saß fest. Nach wiederholten Versuchen war er völlig erschöpft. Er gab auf und verlegte sich aufs Winseln.

DIE GALERIE lag in einer stillen Straße, nicht weit von der katholischen Kirche entfernt. Vor dem Haus stand ein Citroën älteren Baujahrs, das Modell mit den schrägstehenden Scheinwerfern. Ungefähr wie chinesische Augen, dachte Sejer. Das Auto war ziemlich verdreckt. Skarre ging hin und sah es sich genauer an. Das Dach war sauberer als der Rest, etwas schien dort gelegen und den Lack geschützt zu haben. Das Auto war graugrün.
    »Kein Skibehälter«, kommentierte Sejer.
    »Nein, den hat er weggenommen. Aber hier sind die Eindrücke, da war er befestigt.«
    Sie öffneten die Tür und traten ein. Es roch ungefähr so wie in Frau Johnas’ Geschäft, nach Wolle und Appretur und auch ein wenig nach Teer, was an den Deckenbalken lag. Eine Kamera zielte aus einer Ecke auf sie. Sejer blieb stehen und schaute in die Linse. Überall lagen hohe Teppichstapel. Eine breite Steintreppe führte nach oben. Auf dem Boden lagen hier und da Teppiche, andere hingen über Holzleisten von der Decke. Johnas, gekleidet in Flanell und Samt, rot und grün und rosa und schwarz, kam die Treppe herunter, seine dunklen Locken paßten gut zu seiner Farbleidenschaft. Er hatte etwas Schlaffes, Weiches. Sein heftiges Temperament, wenn es das wirklich gab, war gut verborgen. Aber seine Augen waren dunkel, fast schwarz und sein Wesen war einwandfrei das des Verkäufers. Freundlich, glatt und entgegenkommend.
    »Ach!« sagte er freundlich. »Kommen Sie doch herein. Sie wollen bestimmt einen Teppich kaufen!«
    Er streckte eine Hand aus, als empfange er liebe, lange nicht mehr gesehene Freunde oder betuchte potentielle Kunden mit einer Schwäche für dieses Handwerk. Für Knoten. Farben. Muster, die religiöse Geheimnisse enthielten. Geburt, Leben und Tod, Schmerz, Sieg, Stolz, alles, was dann unter den Eßtisch oder vor den Fernseher gelegt werden konnte. Unverwüstlich, einzigartig.
    »Sie haben ja viel Platz«, kommentierte Sejer und schaute sich um.
    »Zwei ganze Etagen und einen Dachboden. Glauben Sie mir, das war eine große Investition. Ich habe mich für diesen Laden fast ruiniert, als ich hier eingezogen bin, sah es unmöglich aus.
    Schimmelig und grau. Ich habe sorgfältig saubergemacht und die Wände gekalkt, und mehr war dann gar nicht. Ursprünglich war das eine feine Bürgervilla. Bitte, kommen Sie doch mit!« Er zeigte nach oben und führte seine Besucher in den Raum, den er »Büro« nannte, bei dem es sich aber eigentlich um eine geräumige Küche handelte, mit Spülbecken aus Stahl, Herd, Kaffeemaschine und einem kleinen Kühlschrank. Die Fliesen über dem Spülstein zeigten fesche niederländische Meisjes in hellen Kleidern, Windmühlen und fette, watschelnde Gänse. Alte Kupferkessel mit kleidsamen Beulen hingen unter der Decke an einem Balken. Der Tisch hatte einen hochstehenden Rand, an den Ecken war er

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