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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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»Bisher nicht!« Er setzte sich wieder in Bewegung.
    »Na«, sagte Skarre ungerührt. »Und was erzählt Frau Johnas so?« »Sie waren aneinandergeraten. Sie hat gehört, wie sie sich angeschrien haben. Die Badezimmertür wurde zugeknallt, der Teller zerbrach. Johnas scheint zu Jähzorn zu neigen. Sie sagt, er macht sich Vorwürfe.«
    »Würde ich auch«, sagte Skarre.
    »Hast du vielleicht auch mal etwas Aufmunterndes beizusteuern?«
    »Im Grunde schon. Annies Schultasche.«
    »Was ist damit?«
    »Weißt du noch, daß sie mit Fett eingeschmiert war? Vermutlich, um Fingerabdrücke zu entfernen?«
    »Ja?«
    »Das ist endlich identifiziert. Eine Art Salbe, die unter anderem Teer enthält.«
    »So eine habe ich auch«, sagte Sejer überrascht. »Für mein Ekzem.«
    »Aber das Zeug ist Pfotenfett. Für wunde Hundepfoten.«
    Sejer nickte. »Johnas hat einen Hund.«
    »Und Axel Bj0rk einen Schäferhund. Das wollte ich nur erwähnt haben«, sagte Skarre rasch und öffnete die Tür. Der Hauptkommissar verließ das Gebäude vor seinem Assistenten. Das Gespräch hatte ihn ein bißchen verwirrt.

AXEL BJ0RK NAHM DEN HUND an die Leine und ließ ihn aus dem Auto.
    Rasch sah er sich nach allen Seiten um, konnte keinen Menschen entdecken, überquerte den Platz und fischte einen Universalschlüssel aus seiner Uniform. Drehte sich noch einmal nach seinem Auto um, das gut sichtbar mitten vor dem Haupteingang stand, ein bleigrauer Peugeot mit einem Skibehälter auf dem Dach und dem Emblem der Wachgesellschaft an der Tür und auf der Motorhaube. Der Hund wartete, während Bj0rk sich am Schloß zu schaffen machte. Vorläufig nahm der Schäferhund noch keine Witterung auf, sie hatten das schon so oft gemacht, aus dem Auto, ins Auto, bei Türen und Fahrstühlen ein und aus, tausend verschiedene Gerüche. Der Hund folgte ihm treu. Er führte ein gutes Hundeleben mit viel Bewegung, immer neuen Eindrücken und reichlichem Fressen.
    Das Fabrikgelände lag still und verlassen da, hier wurde nicht mehr gearbeitet, die Halle diente nur als Lager. Kästen, Kartons und Säcke waren bis zur Decke gestapelt, es roch nach Pappe und Staub und fauligem Holz. Bj0rk schaltete kein Licht ein. An seinem Gürtel baumelte eine Taschenlampe, mit der er jetzt in die riesige Halle hineinleuchtete. Seine Stiefel klangen hohl auf dem Steinboden. Jeder Schritt hallte in seinem Kopf auf ganz besondere Weise wider. Seine eigenen Schritte, einer nach dem anderen, allein in der Stille. Bj0rk ging auf eine Maschine zu. Achilles ging an der schlaffen Leine, in abgemessenen Schritten, er war sehr gut dressiert. Ihm schwante nichts Böses, und er liebte seinen Herrn.
    Sie näherten sich der Maschine, einer großen Walze. Bj0rk quetschte sich hinter Eisen und Stahl, zog den Hund hinter sich her, streifte die Leine über einen Stahlhebel, befahl: »Sitz!« Der Hund setzte sich, war jetzt aber wachsam. Im Raum verbreitete sich ein Geruch. Ein Geruch, der nicht mehr fremd war, der immer stärker und zu einem Teil ihres Alltags geworden war. Aber da war noch etwas anderes. Der herbe Geruch von Angst. Bj0rk ließ sich auf den Boden gleiten, das Rascheln des Nylonoveralls und das Keuchen des Hundes waren die einzigen Geräusche. Bj0rk zog einen Flachmann aus der Tasche, öffnete ihn und trank.
    Der Hund wartete mit glänzenden Augen und spitzen Ohren. Er würde zwar keinen Keks bekommen, aber trotzdem saß er da, wartete und horchte. Bj0rk starrte in die Hundeaugen, kein Wort kam über seine Lippen. Die Spannung in der dunklen Halle steigerte sich. Er spürte, daß der Hund ihn bewachte, er selbst bewachte den Hund. In seiner Tasche steckte der Revolver.
    Halvor grunzte unzufrieden. Hier kommt doch kein Schwein rein, dachte er mißmutig. Das leise Surren des Computers ging ihm inzwischen auf die Nerven. Es war kein trauliches Rauschen mehr, sondern ein nie enden wollender Lärm wie der einer gewaltigen Maschine in der Ferne. Dieser Lärm verfolgte ihn den ganzen Tag, und er kam sich fast nackt vor, wenn er den Rechner ausschaltete und Stille eintrat - bis das Geräusch in seinem Kopf wieder erklang. Spuck’s aus, Annie, dachte er. Sprich zu mir!
    Im Kino wurde eine Filmserie gezeigt. Er kaufte am Kiosk Smarties und Gummibärchen und wartete dann mit den Eintrittskarten am Eingang. Möchtest du etwas trinken, fragte sie. Er schüttelte den Kopf, es war ihm zu wichtig, sie anzusehen, sie mit allen anderen zu vergleichen, die sich vor dem Eingang zum Kinosaal zusammendrängten.

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