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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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mit Messing beschlagen wie ein Tisch auf einem alten Segelschiff.
    An diesem Tisch ließen sie sich nieder, und ohne weitere Frage ging Johnas zum Kühlschrank und servierte seinen Gästen Traubensaft in Weingläsern.
    »Wie geht’s den Hundebabys?« erkundigte Skarre sich.
    »Hera darf einen behalten, zwei sind schon vergeben. Sie sollten bereuen, daß Sie nicht gleich zugeschlagen haben. Womit kann ich dienen?« Johnas nippte an seinem Glas und lächelte.
    Sejer wußte, daß diese Jovialität nicht von langer Dauer sein würde.
    »Ich wollte nur ein paar Fragen über Annie stellen. Ich fürchte, wir müssen dieselbe Runde wieder und wieder drehen.« Diskret wischte er sich über den Mund. »Sie haben sie am Kreisverkehr aufgelesen, stimmt das?«
    Wortwahl, Tonfall und die hauchfeine Andeutung der Bereitschaft, frühere Aussagen anzuzweifeln, schärften Johnas’ Aufmerksamkeit.
    »Das habe ich Ihnen bereits gesagt, und dabei bleibe ich.«
    »Aber sie wollte eigentlich zu Fuß gehen, nicht wahr?«
    »Wie bitte?«
    »Sie mußten sie doch erst überreden, zu Ihnen ins Auto zu steigen, wenn ich das richtig verstanden habe?«
    Johnas kniff die Augen zusammen, blieb aber ruhig.
    »Sie wollte eigentlich zu Fuß gehen«, sagte Sejer noch einmal. »Sie hat Ihr Angebot abgelehnt. Stimmt das?«
    Johnas nickte plötzlich und lächelte. »Das war immer so bei ihr, sie war eben bescheiden. Aber ich fand es zu übel, daß sie den ganzen Weg nach Horgen gehen sollte. Es ist doch ziemlich weit.«
    »Sie haben sie also überredet?«
    »Nein, nein ...« Johnas schüttelte heftig den Kopf und rutschte auf seinem Stuhl hin und her. »Vielleicht habe ich sie ein wenig genötigt. Bei manchen Menschen muß das leider sein.«
    »Sie hatte also keine Lust, sich in Ihr Auto zu setzen?«
    Johnas hörte die leichte Betonung auf »Ihr Auto« sehr deutlich.
    »So war Annie eben. Hat sich immer geziert. Mit wem haben Sie eigentlich gesprochen?« fragte er plötzlich.
    »Mit mehreren hundert Personen«, sagte Sejer. »Und jemand hat Annie in Ihr Auto einsteigen sehen. Nach einer langen Diskussion. Damit sind Sie der letzte, der sie lebend gesehen hat, und deshalb sind Sie so wichtig für uns.«
    Johnas lächelte ihn an, ein verschwörerisches Lächeln, als handle es sich um ein Spiel, an dem er mehr als gern teilnehmen wollte.
    »Ich war nicht der letzte«, sagte er kurz. »Der letzte war der Mörder.«
    »Aber den zu erwischen ist nicht so leicht«, sagte Sejer mit gespielter Ironie. »Und wir haben auch keinen Grund zu der Annahme, daß der Motorradfahrer wirklich auf Annie gewartet hat. Wir haben nur Sie.«
    »Wie bitte? Worauf wollen Sie hinaus?«
    »Naja«, Sejer breitete die Arme aus, »am liebsten auf den Grund der Geschichte. Dank meiner Stellung muß ich natürlich alle möglichen Aussagen anzweifeln.«
    »Wollen Sie mich der Lüge bezichtigen?«
    »Natürlich muß ich in solchen Bahnen denken«, sagte Sejer und änderte schnell seinen Tonfall. »Ich hoffe, das können Sie mir verzeihen. Warum wollte sie nicht einsteigen?«
    Johnas wurde unsicher. »Natürlich wollte sie.« Er stellte die Stacheln auf und riß sich zusammen. »Sie ist eingestiegen, und ich habe sie nach Horgen gefahren.«
    »Nicht weiter?«
    »Nein, wie gesagt, sie ist beim Laden ausgestiegen. Ich dachte, sie wollte vielleicht einkaufen. Ich habe sie nicht einmal bis vor die Tür gefahren, ich habe sie auf der anderen Straßenseite angehalten und sie aussteigen lassen. Und danach«, er erhob sich und holte von der Anrichte seine Zigaretten, »danach habe ich sie nicht mehr wiedergesehen.«
    Sejer setzte die Lokomotive auf neue Gleise.
    »Sie haben ein Kind verloren, Johnas. Sie wissen, was das für ein Gefühl ist. Haben Sie mit Eddie Holland darüber gesprochen?«
    Einen Moment lang sah Johnas überrascht aus. »Nein, nein, der ist viel zu verschlossen, ich wollte mich nicht aufdrängen. Und mir fällt es auch nicht leicht, darüber zu sprechen.«
    »Wie lange ist es her?«
    »Sie haben mit Astrid gesprochen, nicht wahr? An die acht Monate. Aber so etwas vergißt man nicht, man kommt nicht darüber hinweg.« Er fischte eine Filterzigarette aus der Packung und rauchte mit fast femininen Handbewegungen. »Andere versuchen oft, sich vorzustellen, wie das ist.« Mit müdem Blick starrte er Sejer an. »Sie tun das in der allerbesten Absicht, sicher. Sehen das leere Kinderbettchen vor sich und glauben, daß man davorsteht und es anglotzt. Und das habe ich auch oft getan. Aber

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