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Fremde Blicke

Fremde Blicke

Titel: Fremde Blicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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die Wohnung so gut wie leer und enthielt keine nennenswerten Kostbarkeiten. Er knipste das Licht an. Entdeckte mitten im Zimmer einen Werkzeugkasten und am Fenster zwei Hocker. Unter dem Spülbecken in der Küche ragten eine kleine Pyramide aus Farbdosen und eine Fünfliterflasche mit Waschbenzin auf. Johnas renovierte. Sejer schlich weiter und horchte. Es war eine helle, offene Wohnung mit großen, abgerundeten Fenstern und passablem Blick auf die Straße, ein wenig vor dem ärgsten Verkehr geschützt. Ein altes Mietshaus aus der Jahrhundertwende, mit schöner Fassade und Stuckrosetten an der Decke. Sejer konnte gerade noch die Brauerei sehen, die sich ein Stück flußwärts im Wasser spiegelte. Dann ging er langsam von einem Zimmer zum anderen und schaute sich um. Es gab noch kein Telefon und auch keine Möbel, an den Wänden stand jedoch schon der eine oder andere mit Filzstift beschriftete Pappkarton. Schlafzimmer. Küche. Wohnzimmer. Diele. Zwei Gemälde. Eine halbvolle Flasche Cognac auf der Anrichte. Unter dem Wohnzimmerfenster mehrere aufgerollte Teppiche. Kollberg schnupperte ein bißchen vor sich hin. Sejer nahm den Geruch von Farbe, Tapetenkleister und Waschbenzin wahr. Kollberg war nervös. Er wanderte auf eigene Faust weiter.
    Sejer folgte ihm und schaute in die Schränke. Der schwere Teppich war nirgends zu entdecken. Der Hund winselte und lief weiter durch die Wohnung. Sejer folgte ihm.
    Schließlich blieb Kollberg vor einer Tür stehen. Ihm sträubte sich das Fell.
    »Was ist denn los?«
    Kollberg schnüffelte eifrig am Türspalt und kratzte an der Tür. Sejer schaute sich um, er wußte nicht, warum, aber plötzlich überkam ihn ein seltsames Gefühl. Es war jemand in der Nähe. Sejer legte die Hand auf die Türklinke und drückte sie nach unten. Dann öffnete er die Tür. Etwas Schweres traf mit voller Wucht seine Brust. Gleich darauf war alles ein Schock aus Licht und Schmerzen, aus Fauchen, Knurren und hysterischem Gekläff, während das große Tier ihm die Krallen in die Brust schlug. Kollberg nahm Anlauf und bellte los, und da erkannte Sejer Johnas’ Dobermannhündin. Er fiel unter den beiden Hunden zu Boden. Instinktiv drehte er sich auf den Bauch und hielt die Hände über den Kopf. Die Tiere gingen aufeinander los. Sejer sah sich nach einem Schlaggerät um, fand aber nichts. Er rannte ins Badezimmer, entdeckte dort einen Besen, riß ihn an sich, stürzte wieder hinaus und lief zu den Hunden. Sie standen zwei Meter voneinander entfernt, knurrten leise und bleckten die Zähne.
    »Kollberg!« schrie Sejer. »Das ist doch eine Hündin, zum Henker!« Heras Augen leuchteten in ihrem schwarzen Kopf wie gelbe Lichter. Kollberg legte die Ohren an, Hera stand wie ein schwarzer Panther angriffsbereit vor ihm. Sejer hob den Besen und machte ein paar Schritte, wobei er spürte, wie unter seinem Hemd Schweiß und Blut flossen. Kollberg sah ihn, hielt inne und vergaß für eine Sekunde, die Feindin im Auge zu behalten, die mit aufgerissenem Rachen wie ein schwarzes Projektil angeschossen kam. Sejer schloß die Augen und schlug zu. Er traf den Nacken und kniff voller Verzweiflung die Augen zu, als Hera zusammenbrach und zu Boden ging. Dort blieb sie winselnd liegen. Sejer sprang vor, faßte sie am Halsband, schleifte sie hinter sich her ins Schlafzimmer, versetzte ihr einen heftigen Stoß und knallte die Tür zu. Dann sank er gegen die Wand und glitt zu Boden. Starrte Kollberg an, der noch immer in Verteidigungshaltung im Zimmer stand.
    »Verdammt, Kollberg! Das ist doch eine Hündin!« Er wischte sich die Stirn. Kollberg leckte ihm das Gesicht. Durch die Tür hörten sie Hera winseln. Sejer stützte eine Zeitlang den Kopf in die Hände und versuchte, den Schock zu überwinden. Blickte an sich hinunter, seine Kleider waren von Hundehaaren und Blut bedeckt; Kollberg blutete aus einer Wunde am Ohr.
    Dann rappelte er sich auf. Wanderte ins Badezimmer. Auf einer Decke unter der Dusche sah er plötzlich etwas Schwarzes und Seidenweiches, das jämmerlich fiepte.
    »Kein Wunder, daß sie uns angegriffen hat«, flüsterte er. »Sie wollte ihre Jungen beschützen.«
    Der aufgerollte Teppich lag vor einer Wand. Sejer hockte sich davor und schaute ihn an. Der Teppich war fest aufgerollt, in Plastik gewickelt und sorgfältig mit breitem Industrieklebeband gesichert. Sejer riß und zerrte und merkte, wie ihm wieder der Schweiß ausbrach. Kollberg kratzte und scharrte und wollte helfen, aber Sejer schob ihn weg.

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