Fremde Wasser
Security Services Nolte & Partners war die größte Privatdetektei der Stadt.
»Ich höre, Ihre Geschäfte laufen gut«, fuhr Nolte fort, »aber Sie wissen, bei mir können Sie jederzeit ...«
»Deshalb rufe ich an. Aus Gründen der Nachbarschaftshilfe.«
»Ich höre.«
»Sie besitzen doch sicher einen IMSI-Catcher. Würden Sie ihn mir für zwei Tage vermieten?«
Stille in der Leitung.
»Sie wissen, dass der Einsatz von IMSI-Catchern in einer rechtlichen Grauzone geschieht.«
Sehr witzig, dachte Dengler. Die Dinger sind nur für Geheimdienste zugelassen.
»Nun ja, aber heutzutage bietet jeder Provider einen IMSI-Service an. Finden Sie Ihr verlorenes Handy. Wir finden verlorene
Bergsteiger, untreue Ehemänner – all das, indem diese Dinger die Funktelefone orten.«
»Mhm.«
»In zwei Tagen haben Sie ihn zurück.«
»Ich freue mich immer, wenn ich einem Kollegen behilflich sein darf. Ich kann Ihnen einen GA090 von Rohe & Schwarz zur Verfügung
stellen. Brauchen Sie ihn gleich?«
»Ja.«
»Bleiben Sie einen Augenblick in der Leitung.«
Während er wartete, erklärte George Michael einer gewissen Roxanne, dass sie nun nicht mehr auf den Strich gehen müsse.
Schließlich Noltes Stimme: »In einer halben Stunde steht das Gerät für Sie bereit.«
* * *
Dann das letzte Telefonat.
»Bundeskriminalamt. Guten Tag.«
»Verbinden Sie mich bitte mit Hauptkommissar Engel.«
»Einen Augenblick, bitte.«
Nach viermaligem Läuten nahm Hauptkommissar Jürgen Engel den Hörer ab. Dengler hatte den Eindruck, als freue er sich, Denglers
Stimme zu hören. Während seiner Zeit im BKA hatte er sich mit Engel angefreundet. Wahrscheinlich hatten in dem riesigen Wiesbadener
Apparat zwei ähnliche Seelen zusammengefunden, die den Ton im Haus gleichermaßen unerträglich fanden. Sie mochten die Inkompetenz
und Eitelkeit der Führung nicht. Sie mochten aber auch den reaktionären Ton unter den Kollegen nicht. Georg Dengler hatte
oft darüber nachgedacht, warum sich Polizisten ausschließlich Witze über die Bevölkerungsgruppe erzählten, die gerade von
oben zum Abschuss freigegeben war. Während seiner Dienstzeit hatte er Hausbesetzerwitze, Asylantenwitze und Türkenwitze erlebt,
brutale Witze über Junkies und Schwarze.
Wahrscheinlich sind jetzt Muslimwitze dran.
Dengler wusste, dass Jürgen ihn bewunderte, weil er die Kraft gehabt hatte, das BKA zu verlassen. Bei seinem erstengroßen Fall als Privatdetektiv hatte Engel ihm entscheidende Hinweise gegeben.
Auch jetzt brauchte Dengler seine Hilfe.
Er informierte Engel knapp über den Fall Schöllkopf.
Engel pfiff durch die Zähne.
»Da bist du ja in eine Sache hineingeraten. Was kann ich tun?«
»Ich brauche die Daten für zwei Festnetzanschlüsse und für ein Funktelefon: auf wen angemeldet, die benutzten Nummern seit
vier Wochen, und bei dem Handy wären die Bewegungsdaten auch gut.«
»Ok. Mach ich. Das geht heute wesentlich schneller als zu unserer Zeit.«
»Schickst du es mir per Mail?«
»Ja, aber nicht vom Amt aus.«
»Verstehe.«
Sie redeten noch eine Weile. Engel erzählte, dass der frühere Innenminister das Amt komplett nach Berlin habe verlagern wollen.
Die Beamten, die meist in der Nähe von Wiesbaden wohnten, hätten sich dagegen gewehrt.
»Stell dir vor«, sagte Jürgen Engel, »da wehte der Geist der Rebellion durch die Beamtenlaufbahn.«
Dengler lachte. »Beamtenlaufbahn«, so nannten die BKA-Leute den überdachten Übergang zwischen dem alten Hauptgebäude und dem
Neubau.
Dann beendeten sie ihr Gespräch.
Jürgen Engel würde den Absprung vom Amt nie schaffen. Dengler wusste mittlerweile, dass er sein Leben vergeudet hätte, wenn
er es weiter an das Amt gebunden hätte. Er hatte in Wiesbaden viele Kollegen kennengelernt, die nicht so sehr andere schützen
als vielmehr selbst in den Schutz einer Institution flüchten wollten. Und die nun diese Institution sowohl repräsentierten
als auch von ihr abhängig waren.
Die Übergabe des IMSI-Catchers war nur eine Formsache. Dengler unterschrieb ein Formular und brachte das Gerät, das in einem
schwarzen Lederkoffer verstaut war, in seine Wohnung.
Am Abend erhielt er eine E-Mail mit drei angehängten Dateien. Jürgen Engel hatte den Festnetzanschluss lokalisiert. Er gehörte
zu einer Consultingfirma namens Business Consult in der Berliner Friedrichstraße. Das Funktelefon war auf die Firma VED zugelassen, einem Energiekonzern ebenfalls mit Sitz
in Berlin.
Die
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