Fremde
noch da, aber keine Frauen. Das kam Farber sonderbar vor, aber er war immer noch zu benommen, um darüber nachzudenken. Er wandte alle Kraft auf, Liraun eine gute Vorstellung zu liefern. Liraun strahlte – es gab kein anderes Wort dafür. Einige Male dachte Farber, er sähe aus den Augenwinkeln einen Lichtblitz, und wandte sich um, um jedes Mal nur Lirauns Gesicht zu sehen. Ihr strahlendes Lächeln warf auf jeden, selbst auf den sauer dreinblickenden Jacawen, einen freundlichen Glanz. Als die Zeremonie fast zu Ende war, brach Feuerfrau durch die Wolken am Horizont, und die Welt öffnete sich. Man konnte nun bis zum Nordstrand sehen, Meile für Meile, den glitzernden Rücken der Alten See, die Dünen, die sauberen, schachbrettartigen Felder und Obsthaine von Shasine. Feuerfrau schickte Säulen rauchenden, bernsteinfarbigen Sonnenlichts auf die hügelige Landschaft unter ihnen. Liraun wandte sich ihm zu und legte ihre Hand in seine. Sie hieß nun Liraun Je Farber.
9
Die Hochzeitsnacht verbrachten sie in Farbers Apartment, die letzte Nacht, die sie dort verbringen würden. Er ging betrunken zu Bett und wachte schwitzend und nüchtern auf, in der vollen Erkenntnis, was er getan hatte. In Panik setzte er sich auf und begann, sich aus dem Bett zu schwingen. Die Berührung seiner heißen, schwitzenden Füße mit dem kalten Kachelboden war ekelerregend; er erstarrte mitten in der Bewegung, als sei sein Fleisch geronnen, und saß wie ein schlaffer, schwitzender, gekrümmter Sack übelgelaunt auf dem Bettrand. In Gedanken spielte er seine Situation durch. Zweifel nagten an ihm, ließen ihn nach einem Ausweg suchen. Es gab keinen. Es gab keine Alternative. Es war zu spät. Die Endgültigkeit war so kalt und übel in seinem Bauch wie der saure Wein vom Abend zuvor. Er legte sich wieder hin. Er döste fiebrig vor sich hin und wurde im Verlauf der Nacht wieder und wieder wach, lag still und blinzelte in die Dunkelheit, lauschte auf die leisen Geräusche seiner Wohnung. Es waren alles kalte, künstliche Geräusche, trockenes, steriles Ticken und Summen. Die Uhr, die Laterne draußen vor dem Fenster, die Temperaturkontrolle, der Luftfilter – alles tote Dinge. Sie waren so laut, daß sie alle Geräusche von draußen fernhielten. Jedes Mal, wenn er erwachte und lauschte, schienen sie lauter und deutlicher zu sein, bis er sich in einem kalten, mechanischen Uterus eines gleichgültigen, leblosen Dings wähnte, tot schon vor der Geburt, ein Steinfötus. Er rollte herum und versuchte, sich auf Lirauns Atem zu konzentrieren, hielt das warme Schnurren und Brummen gegen das überpräzise Flüstern der Mechaniken. Nach einer Weile schlief er doch noch kurz ein.
Wie erwartet meldete Raymond Keane sich am nächsten Morgen. Farber fühlte sich besser, klarer und ruhig, wie ein Mann, der sich unwiderruflich entschieden hat. Nach der langen Zeitspanne von Zweifel und Unentschiedenheit war die Resignation fast eine Erleichterung. Ohne Angst beobachtete er, wie Keanes gerötetes Gesicht auf der Meldescheibe Gestalt annahm – er hatte es sich den ganzen gestrigen Tag schon genauso vorgestellt. Eigentlich war er fast belustigt. Keane sah so erregt und ernsthaft wütend aus. Farber hatte die Lautstärke fast ganz heruntergedreht, doch die Stimme des aufgeregten, puttengesichtigen Eiferers auf dem Hologramm kreischte unangenehm laut in seinen Ohren. Der Direktor war heute definitiv ungemütlich. Wieder legte Keane seine grundsätzliche Unfähigkeit an den Tag, dieses Mal, indem er Farber mit abgehackter Stimme Beleidigungen und Drohungen an den Kopf warf, voller persönlicher Aggression und Verurteilung, die ein guter Administrator sich niemals hätte anmerken lassen. Bei keiner Provokation. Seine Wut zeigte deutlich einen Mangel an Beherrschung und zerstörte das Bild teilweiser Omnipotenz, das Menschen in Keanes Position eigentlich pflegen sollten. Noch ein Dummkopf, dachte Farber. Ich frage mich, ob wir das alle sind. Einen Augenblick lang hatte er die Vision der arroganten, überdrehten Erdenmenschen, wie sie den Cian erscheinen mußten. Es war kein schmeichelhafter Gedanke. Er war sich dessen bewußt, daß Liraun irgendwo hinter ihm stand, außer Sichtweite des Hologrammwürfels. Sie gab keinen Laut von sich.
Der Kern von Keanes Tirade war der Ausschluß aus der terranischen Enklave. Farber hatte es gewagt, jene Linie zu überqueren, die Keane gezogen hatte, und man würde ihn dafür bestrafen. Beides war nicht überraschend für
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