Fremde
nahm die Schnellbahn hinauf in die Altstadt. Dort, umgeben von den hohen Steinmauern und steilen Kopfsteinstraßen, traf ihn die Ungeheuerlichkeit seines Vorhabens doppelt stark. Er fand eine kleine Terrasse am Fuß einer gewundenen Gasse und blieb dort fast eine Stunde lang stehen und blickte über das fremde Land unter sich. Der Aome glitzerte wie eine silberschuppige Schlange bei seinen Windungen durch die Neustadt – er war noch nicht zugefroren, wenn es auch nicht mehr lange dauern würde. Er kickte einen Kiesel hinunter zum Fluß und war entsetzt, wie rasch der Stein verschwand. Verloren, verloren. Du mußt wahnsinnig sein, sagte er sich. Du mußt wahnsinnig sein, wenn du so etwas vorhast. Das ist es nicht wert. Nichts gibt es, für das sich so etwas lohnen würde. Er zitterte, und seine Kehle war wie ausgedörrt. Die Haut fühlte sich fiebrig an, als er sie berührte. Er begann unfreiwillig weiterzugehen. Nach einer Weile bemerkte er mit Entsetzen, daß er auf die Halle der Schneider zuging. Ich werde nicht hineingehen, sagte er sich. Ich sehe es mir nur einmal an und gehe dann zurück. Aber er ging hinein, ging wie im Traum. Trotz all seiner Skrupel, merkte er benommen, war er nur fünf Minuten zu spät.
Jacawen sur Abut erwartete ihn. Mit steinernem Gesicht führte er Farber durch die belebten, hallenden Flure in einen Raum, in dem unaufdringliche Maschinen und höfliche cianische Techniker warteten. Jacawen sagte kein Wort. Farbers Gegenwart besagte alles. Jacawen murmelte irgend etwas zu dem Cheftechniker, nickte Farber zu und ging.
Der Techniker lächelte Farber höflich an, entblößte gleichmäßige feuchte Zähne und verbeugte sich.
Dann schnallten sie Farber an, steckten ihn in die Maschinen, knipsten sein Bewußtsein aus und taten mit ihm, was sie mit ihm tun sollten.
Vier Stunden später schalteten sie Farber wieder ein. Er zwinkerte und setzte sich benommen auf. Er lag auf einem fahrbaren Bett. Die Sicht verschwamm ihm, und sein Kopf fühlte sich flusig an, als sei er mit Watte vollgestopft. Er hatte einen entsetzlichen Geschmack im Mund. Der Techniker, der an Farbers Seite stand, schenkte ihm das gleiche höfliche Lächeln, Zahn für Zahn, und reichte ihm ein Glas des brennenden einheimischen Schnapses. Er bekam einen Hustenanfall, doch sein Kopf wurde klarer. Der Techniker nahm Farber den Puls ab, blickte ihm in die Augen, drückte eine röhrenförmige Maschine gegen seinen Oberarm und las das Ergebnis auf einer Skala ab – und dann sagte er zu Farber, er könne gehen.
Irgendwie fand sich Farber wieder draußen und stolperte durch die Altstadt von Aei. Er sah immer wieder auf seine Hände, wandte sie herum und herum, hielt sie vor die Augen. Er preßte die Handflächen gegen die Wangen, fühlte die Wärme und Festigkeit seines Fleisches. Er kniff sich, grub die Fingernägel in die Haut. Alles fühlte sich genauso an, sah genauso aus, war es aber nicht mehr. Fremdheit schwamm in ihm, wartete in seinem Samen. Dumpf bäumte er sich gegen die schreckliche Erkenntnis auf, wieder und wieder. Vergeblich.
Er war kein Mensch mehr.
8
Josef Farber und Liraun Je Genawen wurden am späten Nachmittag auf der Esplanade der Terrasse getraut, die Türme der Altstadt über sich und die weite Neustadt unter sich ausgebreitet. Die Zeremonie war kurz, einfach und für Farber unverständlich, da er den Dialekt nicht verstehen konnte. Der Wind fuhr über die Esplanade und schüttelte sie durch, und es war bitterkalt. Die dünne Stimme des cianischen Älteren, dem Sänger des Twizan, versank im Wind und erhob sich hartnäckig immer wieder. Er war gegen den Wind gewappnet wie ein bemooster alter Stein, fast zahnlos, weißhaarig, sehr alt. Seine hellen, alten Augen verrieten kein Anzeichen dafür, daß er diese Heirat unmöglich fand, wenn so etwas auch niemals zuvor in der Geschichte seiner Rasse passiert war. Von der Erde war niemand anwesend. Jacawen war da, stand still an einer Seite, sah kalt und ablehnend aus. Genawen sur Abut, Lirauns Vater, war ebenfalls da. Er war ein fetter, gutmütiger alter Mann mit riesigen schlaffen Brüsten und einem langen, verfilzten Bart. Er versuchte, sich an seinem Halbbruder zu orientieren und blickte ernst, vergaß es aber immer wieder und ließ ein breites, glückliches Grinsen auf sein Gesicht – er hatte gefürchtet, seine Tochter würde niemals heiraten und war froh, sie unter der Haube zu sehen, selbst mit einem Fremden. Verschiedene andere cianische Männer waren
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