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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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Boden unter den Füßen fort, schlug ihm ins Gesicht. Wie lange würde es dauern, bis er gefühlsmäßig akzeptierte, daß er nicht mehr auf der Erde war?
    Plötzlich zitterte er. In der Luft lag ein bitterer, knochentiefer Frost, den das direkte Sonnenlicht nur einen Augenblick lang verhüllen konnte. Eine plötzliche Kurve brachte ihn zu einem Schrein am Straßenrand, verlassen, zur Straße hin offen und ein Stück in den Boden versunken. Die halbrunde Wand, die ihn umgab, bestand aus kleinen Stücken aus Marmor, Porzellan und Keramik. Im Schrein standen Steingötter, vierschrötige, starrende Götter von etwa vier Fuß Höhe, mit grotesken Gesichtern und knorrigen Händen, ein wenig an den aztekischen Stil erinnernd. Einige erkannte er. Die Warmen Wesen, geschnittene Jade mit Silber und Knochenintarsien, hatte man umgedreht, so daß die Gesichter zur Wand blickten. Für den Rest des Winters würden sie so abgewandt von einer Welt bleiben, deren Schicksal sie nicht kontrollierten und deren Leiden sie auf keine Weise verhindern konnten. Die Kalten Wesen, aus verwittertem Gestein und poliertem Obsidian, hatte man nach vorn in den Schrein gestellt, und sie dräuten über der Straße. Ihre Gesichter waren grimmig, unglücklich und stolz. Ihre leeren schwarzen Obsidianaugen schienen ihm beim Vorbeigehen zu folgen.
    Eine Viertelmeile nach Passieren des Schreins gab Farber auf. Er blieb geschlagen auf einer kleinen Anhöhe stehen und versuchte, wieder Luft zu bekommen. Hinter ihm ragte die Altstadt wie ein zersplitterter Baumstumpf über den Rand der Welt; fern im Westen sah er die wintergestreiften Bäume eines Obsthains, aus der Entfernung winzig wie Zweige; vor ihm, im Norden und Osten, lagen die schneeverhüllten Dünen – wie eine Miniaturbergkette – und das Alte Meer. Das Wasser war kalt, metallisch und träge, und die Strände waren eisumschlossen. Die einzigen Laute waren der Wind und das Stöhnen des Packeises, das unter den langsamen Wellen knirschte und brach. Das Licht begann zu schwinden, und es wurde kälter. Die Verlassenheit der Szenerie war unbeschreiblich – mehr als man ertragen konnte. Er konnte nichts anderes tun, als aufzugeben und zurück nach Aei zu gehen. Seine Suche war ohnehin gescheitert; er war fast drei Meilen von der Kreuzung der Nordstraße entfernt, und das Gebärhaus konnte nicht so weit draußen liegen. Zögernd wandte sich Farber zur Rückkehr. Er hob den Fuß zum ersten Schritt. Dann hielt er inne und verlagerte sein Gewicht noch nicht.
    Der Wind trug ihm eine leise, kristallen klingende Musik zu.
    Einen Augenblick dachte er, diese Musik sei in seinem Kopf, eine Wiederkehr seines alten Traums vom Alàntene, aber sie nahm stetig an Lautstärke und Deutlichkeit zu: glitzernde Arpeggios, die sich mit der lebendigen Autorität silberner Spitzen in jetschwarzem Holz in den Wind nagelten, darunter lag ein leises Donnern von Trommeln.
    Farber blickte nach Süden über die Straße, zurück auf Aei, und nach kurzer Zeit sah er, wie das staubige Sonnenlicht sich auf bronzenen Masken und Eisenhelmen brach, auf prächtigen Stoffen glänzte und die hohen nickenden Kopfputzfedern sichtbar machte. Die Sonne glitzerte hell auf Onyx, Bernstein und Amethyst. Aus dieser Entfernung sahen die Dahinziehenden klein und dicht gedrängt aus – wie ein phantastischer Tausendfüßler mit Stoffkörper und in tausend Farben, Dutzende von winzigen Beinchen schritten im gleichen Rhythmus, Hunderte von gestiefelten Füßen schlugen auf die Steine. Blitzend, windend, stampfend, schwankend, mit klingender Musik schlängelte sich der Tausendfüßler aus den Hügeln auf ihn zu.
    Er setzte sich auf einen Felsen, um auf ihn zu warten.
    Zehn Minuten später war die Prozession herangekommen. Er saß und beobachtete ihr Vorbeiziehen, ohne ein Miene zu verziehen und reglos wie die Statuen im Schrein, wenn auch der Stein seine Schenkel durchkühlt hatte und die Kälte die Beine hinaufzog. Das war die Prozession eines reichen Hauses, wahrscheinlich von einer der Tausend Familien, und bestand aus über zwanzig Personen. Zuerst kamen die Impersonatoren, die die Talismane auf langen Stäben oder als Maskenköpfe trugen, dann eine Gruppe Zwielichtmänner um die Mutter herum; ihnen folgten die Musiker mit ihren Trommeln und tikans und den Nasenflöten. Alle wirkten ausgeruht und frisch. Der Marsch vollzog sich rasch und wohlgeordnet; die Musiker spielten unaufhörlich, die Talismane wurden hoch und aufrecht an ihren Stäben

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