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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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schlug.
    »Unter entsprechenden Bedingungen kann die Evolution einen
Nachteil in einen Vorteil verkehren. Es muß eine bestimmte
Eigenheit menschlicher Gewalttätigkeit geben, die sich nur bei
den Menschen findet. Es muß eine bestimmte Eigenheit
menschlicher Gewalttätigkeit geben, die förderlich ist für den menschlichen Fortschritt, und zwar auch nach der Phase der einfachen natürlichen Auslese.«
    Das Bibliothekshirn, ausgestattet mit den Denkstrukturen der Geds,
machte eine Pause. Dann wiederholte es seine Auffassung über
das, was sein mußte – diesmal in der Diktion
mathematisch-logischer Gewißheit.

 
67
     
    Lahab und Dahar standen bis zum Nacken in Wroff gehüllt.
Dahar setzte sich die Spitze des Gedmessers auf die Brust,
drückte erst ganz vorsichtig zu, dann immer weniger vorsichtig;
Wroff wehrte Wroff mühelos ab.
    Die Neigung zur Gewalt läßt ihm keine Ruhe, trotz
seiner mathematisch-logischen Begabung. Grax stieg seine eigene
Verbitterung in die Nase, als er den beiden ihre Helme
aushändigte.
    Lahab hielt den seinen in Augenhöhe und spähte durch das
klare Wroff wie durch eine riesige Linse. Dahar befingerte das Innere
des Helmkragens, in dem sich die mathematisch-logisch-organischen
Aggregate des Lebenserhaltungssystems verbargen – nicht einmal
dem Bibliothekshirn war es gelungen, Natur und Funktionsweise dieses
Systems auf angemessene Weise in die Menschensprache zu
übertragen.
    Vielleicht gelang es Dahar.
    »Helme aufsetzen«, grollte Grax so barsch, daß
selbst Lahab aufmerkte.
    Dahar sagte leise: »Ist was mit deiner Harmonie,
Grax?«
    »Setz deinen Helm auf«, sagte Grax.
    Beide verhielten sich eben linkisch, steckten mehr den Kopf in den
Helm, als daß sie sich den Helm über den Kopf
stülpten. Der Helmkragen versiegelte sich hermetisch mit dem
Anzug, und über Lahabs ansonsten stoisches Gesicht flackerte
panische Angst. Dahar betastete die nahezu unsichtbare
Oberfläche des Helms, und das Gesicht, das er dabei machte, rief
in Grax plötzlich eine Erinnerung wach: damals im Unterricht,
als Dahar ins Vergrößerungsgerät geblickt und zum
erstenmal menschliche Zellen gesehen hatte, da hatte er die gleiche
Grimasse gezogen.
    »Ihr könnt mich hören«, sagte Grax. Beide
sahen ziemlich verdutzt aus, als sie die Stimme im Helm hörten.
»Diese Helme lassen eine räumlich beschränkte
Unterhaltung zu; das heißt, ihr könnt euch unterhalten,
solange ihr im selben Raum seid.«
    »Diese Helme? Gibt es denn welche, mit denen man durch
Wände sprechen kann?«
    Es gab kein Bibliothekshirn, das ihm raten konnte, wieviel er
erzählen sollte; und er würde die Verbindung nicht wieder
herstellen. Nicht, bis er das Schändliche getan hatte, das er,
wie er wußte, nicht würde lassen können.
    »Ja. Es gibt Helme, mit denen man sich durch Wände
hindurch unterhalten kann.«
    »Kann dein Helm durch Wände sprechen?«
    »Jetzt nicht«, sagte Grax, und wußte, daß
einem Ged der Beigeruch der Antwort nicht entgangen wäre. Ein
Ged hätte sofort Bescheid gewußt. Dahar merkte nichts.
Dahar war kein Ged.
    »Behaltet die Helme auf. Ich werde die Quomluft in diesem
Raum gegen Luft auswechseln, wie sie fast überall im Sternenboot
herrscht.«
    »Jetzt?« sagte Lahab nervös. Dahar trat näher
an ihn heran. Grax bemerkte diese Zuwendung – fast wie ein
Ged, redete er sich ein, und ihm war, als müsse er an den
widerwärtigen Pheromonen seines Selbstekels ersticken. Er strich
über einen vertieften Wandausschnitt. In Bauchhöhe
stülpte sich ein Bord aus dem Wroff. Er setzte seine Finger
darauf und ließ sie tanzen. Mit einem feinen Rauschen wurde die
Quomluft abgesaugt und durch richtige, gute, frische Luft
ersetzt.

 
68
     
    »…und Kleinwuchs«, beendete das Bibliothekshirn die
Liste von Beispielen biologischer Nachteile, die sich in biologische
Vorteile verkehrt hatten. Die Wandschirme waren abgeschaltet. Drei
Geds krümmten sich in einer Wolke übelriechender
Schockpheromone; zwei andere erholten sich bereits.
    »Nur sechsundzwanzig der sechshundert Menschen in R’Frow
haben auf die mathematisch-logische Wissenschaft angesprochen.
Vermutlich ist auch bei Menschen im Stadium der interstellaren
Raumfahrt der Anteil solcher Hirne an der Gesamtpopulation nicht
größer. Er ist eher kleiner, da diese genetisch
exzentrischen Hirne – wie in R’Frow – eher Opfer als
Quelle interner Gewalt sind.
    Dennoch betreiben die Menschen interstellare Raumfahrt. Das ist
nur dadurch zu erklären, daß sich interne

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