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Fremdes Licht

Fremdes Licht

Titel: Fremdes Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Gewalt in einen
evolutionären Vorteil verkehrt hat. Und dieser Vorteil muß
mehr als eine bloße Homöostase bewirken. Bei der
genetischen Variabilität dieser Spezies muß er die
unwiederbringlichen Verluste an genetischer Intelligenz
wettmachen.
    Nun zu den Gleichungen…«

 
69
     
    »Hier ist kein Eingang«, knurrte Kelovar. »Der
Eingang für die Geds liegt in der Ostmauer.«
    Ayrid konnte Jehanna nicht hören, so leise bewegte sich die
Kriegerin. Doch wenn sie den Kopf reckte und an Kelovar vorbeisah,
war Jehanna da. Kelovar stand so nahe an der Mauer, daß Ayrid
nur den Arm auszustrecken brauchte, um das Wroff zu berühren,
aber um nichts in der Welt wollte sie ihre Finger noch einmal an die
schwache, elektromagnetische Vibration legen.
    Sie zog das dunkelgraue Kästchen aus dem Tebel, das aussah
wie ein Vergrößerungsgerät und keines war.
    Kelovar erstarrte, bis er sah, daß es keine Waffe war. Es
erinnerte ihn offenbar an gar nichts – aber SaSa erkannte es
wieder. Aus dem Augenwinkel sah Ayrid sie hinter einem Baum kauern,
das winzige Mädchen hatte den Blick auf das Kästchen
geheftet – und dann entgleiste das kleine weiße Gesicht,
zersplitterte. Irgendwo hinter ihrem verstörten Schweigen wurde
SaSa von dunklen Erinnerungen heimgesucht, die Ayrid verschlossen
waren, Erinnerungen, die der Anblick des Gedkästchens
auslöste. Und SaSa schien alles noch einmal zu durchleben.
    »SaSa«, sagte Ayrid sanft, »geh dich verstecken,
lauf zur Unterrichtshalle und geh in mein Zimmer, da passiert dir
nichts… Hier wird es Tote geben, SaSa.«
    Kelovar grunzte leise. SaSas Blick hing an dem Kästchen, sie
kam nicht hinter dem Baum hervor, und es gab nichts, was Ayrid jetzt
noch für sie tun konnte. Die Zeit drängte – die Zeit
drängte immer! – und Kelovar konnte sie jeden Moment…
Ayrid riß sich von dem zerquälten Kindergesicht los und
heftete den Blick auf die Mauer. Sie spreizte alle zehn Finger um das
Wroffkästchen, um möglichst viel von seiner Oberfläche
abzudecken, und drückte kräftig zu.
    Die Mauer spielte verrückt. In ihrer vollen Höhe und
zwanzig Schritt weit zu beiden Seiten erschauerte das Wroff, warf
Wellen und tat Löcher auf, scharenweise Löcher, alle
kreisrund, die wahllos vergingen und kamen, das Wroff schien
regelrecht zu gären. Ein schrilles Geräusch zerschnitt die
Luft, darunter plötzlich eine gedämpfte Kakophonie
menschlicher Schreie von jenseits der Löcher. SaSa stimmte einen
hohen, kindlichen Klageschrei an, der fast verlorenging in dem
Inferno, doch Kelovar schwieg. Ayrid spürte seinen kraftvollen
Körper erschaudern, dann wurden seine Muskeln hart.
    Sie nahm eine Hand von dem Kästchen fort. Die Anzahl der
Löcher ging auf die Hälfte zurück. Dafür wurden
sie größer, kamen und vergingen aber in noch rascherer
Folge als zuvor. Verzweifelt drückte Ayrid an dem Kästchen
herum, mit dem Daumen auf der Oberseite, mit den anderen Fingern auf
der Rückseite. Die Löcher stürzten aufeinander zu und
bildeten in Mannshöhe eine gezackte Öffnung, deren Kanten
waberten und schlierten. Ayrid probierte andere Druckstellen, Jehanna
rief etwas, und das geifernde Maul rutschte nach oben fort.
    Mit zitternden Fingern versuchte Ayrid umzukehren, was sie soeben
getan hatte, und tatsächlich rutschte das Maul auf den Boden
herab, wo es mit wabernden Zacken verweilte.
    Wieder rief Jehanna. Doch Kelovar rührte sich nicht von der
Stelle. Sein Körper hatte sich weiter verhärtet, die Arme
schienen versteinert. Ayrid warf einen Blick in sein Gesicht; es war
so weiß wie das des Barbaren, und die wasserhellen Augen sahen
stumpfer aus, als SaSas Augen es je getan hatten.
    »Kelovar! Los, worauf wartest du noch?«
    Er rührte sich nicht. Er schien vergessen zu haben, daß
er jemanden auf den Armen trug. Selbst als Jehanna ihm die
Hitzeschleuder an die Schläfe setzte, rührte er sich
nicht.
    Er weigerte sich zu glauben, was er sah. Es überstieg sein
Vorstellungsvermögen. So etwas gab es einfach nicht. Es war
nicht da.
    Jehanna hielt die Waffe auf ihn gerichtet, während sie sich
Schulter voran an ihm vorbeidrängte und in das Loch stieg. Ayrid
gewahrte den winzigen Augenblick in Jehannas Gesicht, da die
Kriegerin abdrücken wollte. Es gab jetzt keinen Grund mehr, den
Delysier zu schonen. Doch dann, als das grelle Alarmgeräusch
unter dem markerschütternden Schrei eines Menschen
verblaßte, kehrte sie ihnen den Rücken zu und stürzte
sich in die geifernde Mauer.
    »Nein«,

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