Fremdkörper
spreche. Gloria ist meine ältere Schwester, die ich nie hatte. Meine Sex-and-the-City-Freundin. Ihr fällt es hörbar schwer, mit dem Schicksal ihrer »Kleinen« klarzukommen. Sie hat zwar auch Angst. Aber die nach außen getragene Zuversicht überwiegt. Von jetzt an wird sie fast täglich anrufen, sms-Nachrichten schreiben oder e-mails. Kurz: liebevolle Omnipräsenz, die mich in den Arm nimmt. Aus Sorge, Fürsorge und um mir mit Geschichten ihres Sohnes, meinem Patenkind, ein Stück »normales« Leben zu schenken. Kira wird von blankem Entsetzen geschüttelt. Krankheit und Tod sind nicht ihre Lieblingsthemen. Deswegen hat sie darum bisher sehr erfolgreich einen ziemlich großen Bogen gemacht. Was sicherlich nichts außergewöhnliches ist, sondern sie mit vielen eint. Problematisch, dass sie sich plötzlich unweigerlich damit konfrontiert sehen muss. Denn ich bin ihre Konfrontation. Kira wird aus Freundinnenliebe diese, ihre persönliche Büchse der Pandora öffnen und das Thema Vergänglichkeit in ihr Leben lassen. Bedeutet: Sie stellt ihr Für-mich-Dasein über ihre Angst des Irgendwann-nicht-mehr-Daseins. Fiona – seit eh und je mein All-American-Girl. Eine Frau, die chronische Wangen-Verspannungen haben müsste, wenn es so etwas gibt – weil sie so viel lacht. Immer. Und überall. Ihre ersten Worte sind die der Hoffnung und des Mutes: »Die Freundin meiner Mutter hatte das auch. Ziemlich genau vor einem Jahr. Sie war schon wieder zweimal beim Friseur. Dann schaffst du das ja wohl auch.« Spricht es mit einer Leichtigkeit, die mir für einen Moment die ganze Schwere des Augenblicks nimmt. An dieses Telefonat werde ich mich oft erinnern, wenn es mal wieder nicht so gut geht. Und zu guter Letzt entfährt es Eva: »Ach, Miri ... es klingt so doof. Aber es trifft irgendwie immer die Falschen.« Ich weiß, wie sie es meint. Daher muss ich lächeln. Und an meinen schlauen Gott denken. Jaja, ich weiß: Wenn ich die Falsche bin, wer ist dann die Richtige?
Ich halte den Kreis derer, denen ich von meinem »neuen Lebensumstand« erzähle, klein. Sehr klein. Ich will nicht, dass so viele Bescheid wissen. Denn erstens hat meine persönliche Behörde dem Krebs die Aufenthaltsgenehmigung verweigert. Insofern ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er ausreisen muss. Und zweitens: Je mehr es sind, die eingeweiht sind, umso realer wird es. Umso mehr tut es weh. Umso mehr Macht und Einfluss würde dieser Krebs bekommen. Diesen Gefallen tu ich ihm nicht. Ich nicht. Aber andere.
4.
Jeder weiß es
»Sie wissen es.« Pause. Und dann leise und selbst ziemlich ge- und betroffen: »Es tut mir leid, Miri.« Mit »sie« meint meine Managerin die Reporter einer großen deutschen Zeitung. Ihre Worte treffen mich gänzlich unvorbereitet. Für einen Moment die Deckung vernachlässigt, schon rauscht die Information wie eine harte Linke in mein Gesicht. Diese Zeitung, kein Kumpel der Privatsphäre. Wenn die es heute wissen, wissen es morgen alle. Mir wird kotzübel. Und hysterisch zumute: »Das müssen wir leugnen. Abstreiten. Alles Quatsch.« – »Haben wir versucht. Sie haben offenkundig einen Informanten, der ziemlich genau über deinen Zustand Bescheid weiß. Vermutlich aus dem Krankenhaus. Und jetzt wollen sie von dir ein paar Aussagen dazu.« Schweigen. Wieder dieses Herzklopfen, diese Stiche in der Brust, wie vor wenigen Tagen, als ich erfuhr, was mit mir und meinem Gewebe los ist: »Auf gar keinen Fall. Ich rede nicht mit denen. Mit niemandem. Das geht doch keinen was an.« Und dann mit der Lautstärke der Empörung: »Die dürfen nicht einfach gegen meinen Willen allen erzählen, was gerade in meinem Leben passiert.« So sehe ich das. Dumm nur, dass die das allerdings deutlich anders sehen. Einen Nachmittag lang versuchen wir die geplante Veröffentlichung zu verhindern. Von Reden bis Rechtsanwalt. Vergeblich. Zur gleichen Zeit informiert meine Managerin die Leute, mit denen ich momentan zusammenarbeite. Wäre nicht so schön, wenn sie das Ganze aus der Zeitung erfahren. Denn, und damit kann ich mich nicht anfreunden, die Story wird erscheinen. Ich kann nichts dagegen tun. Schon wieder so eine Situation, wo fremdbestimmt über mich und mein Leben verfügt wird. Wie sehr ich das hasse. Und wie sehr mich das verletzt. Ich könnte heulen. Dieses Mal vor ungebändigter Wut. Wie verträgt sich das mit einem Mindestmaß an Menschlichkeit? Unter dem Deckmantel der Chronisten- und Informationspflicht, dem feist formulierten Ansinnen,
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