Fremdkörper
eben jenes mich möglichst früh warnen möge. Will heißen: Bevor die Katastrophe eintritt, spiele ich das Worst-case-Szenario durch, versuche es zu akzeptieren, um dann auf das Seelen-SOS mit meinem eigenen Rettungskonzept reagieren zu können. Salonfähig gemacht könnte man so einen Plan ganz prima als »Triple S« Soul Security System vermarkten. »Das Soul Security System – der Airbag für Ihre Seele. Sie haben Liebeskummer? Müssen den Tod Ihres Hundes verkraften? Oder die Tatsache, dass Sie mit 30 aussehen wie ein Frührentner? Kein Problem. Triple S, Ihr Fallschirm für den seelischen Absturz. Heute schon fühlen, was morgen passiert. Und dann tut es nur noch halb so weh.« Oder so. Ob so etwas wirklich funktioniert? So, wie gute Autofahrer brenzlige Situationen vorhersehen und deswegen frühzeitig bremsen, so müsste man schmerzhafte Ereignisse doch auch vorherfühlen können. Und damit schon ein Stück vom Weh nehmen. Der Haken an der Sache: Das mit der Zeitungsveröffentlichung hätte ich mir vorstellen können bis zum Umfallen. Umgehauen hätte es mich trotzdem. An die Reaktionen mag ich jetzt noch gar nicht denken. Die nächsten Tage werden, sagen wir, interessant.
5.
Der Feind in meiner Brust
Die Vision und meine Aufgabe ist klar: Ich brauche einen Panzer. Womit ich wieder bei meiner persönlichen Umprogrammierung wäre: Im Prinzip ist es die zeitweise Abkehr von meiner Happy-End-Lebensphilosophie. Was mich nicht – bumms – zum Pessimisten macht. Vielmehr scheint mir die Stunde gekommen, meinen immer noch leider nur träge funktionierenden Kopf dazu zu benutzen, nicht nur Dinge vorherzudenken. Sondern auch ihre Konsequenzen. Wenn es sein muss, bis zum unschönen Ende. Ich will mich nie wieder so kalt erwischen lassen. Der Gedanke an den Moment der Diagnose lässt mich einmal mehr frösteln. Schauer jagen sich hektisch gegenseitig meinen Rücken runter. »Was – für – eine – große – Scheiße ...« Gehört sich nicht, solch vulgäres Vokabular. Tut aber gut. Einmal ausgesprochen, kann man damit ja nun auch arbeiten. Das bedeutet, die »Scheiße« ist gekommen, um zu bleiben. Zumindest bis zur Operation. Danach hat es sich »ausgeschissen«. Hoffentlich verläuft alles glatt. Ganz anders fühlen sich meine Lymphknoten an. Leider. Nach so vielen Tagen immer noch sehr dick und knotig. Und irgendwie macht jeder Arzt, der die Dinger in Augenschein nimmt, ein besorgtes Gesicht. Also muss ich zu Ende denken, was bis jetzt keiner ausgesprochen hat: Mein Krebs könnte gestreut haben. Und was bedeutet das dann? Ist bald alles um mit mir? Mann. Wie blöd. Das hatte ich mir ehrlich gesagt anders vorgestellt mit meinem Leben. Da muss doch was zu machen sein.
Ich setze mich zum ersten Mal seit der schrecklichen Kunde an meinen Computer und beginne meine Recherche. Was für ein Stichwort gebe ich ein? Ich fange mal mit dem einfachsten an: »Brustkrebs.«
»In Deutschland ist das Mammakarzinom mit einem Anteil von 28 Prozent aller Krebsneuerkrankungen die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Jede achte bis zehnte Frau erkrankt im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs.« Was? So viel? Da kann ich ja in meinem Freundinnenkreis durchzählen und mich darauf vorbereiten, dass ich in spätestens 30, 40 Jahren Gesellschaft bekomme. »In der westlichen Welt ist Brustkrebs die häufigste Todesursache bei Frauen zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr.« Och nö. Z.I. Zu viel Information. Das will ich nicht wissen. Ich habe nämlich keine Lust, vorzeitig abzutreten. Sagte ich bereits. Die weiteren Angaben, die auf dieser Seite gemacht werden, machen zunächst wirklich Mut. Gut erforschte Form des Krebses. Bei Früherkennung ganz prima Heilungschancen.
»Metastasen + Brustkrebs« liefert dann nicht mehr ganz so schöne Erkenntnisse. »Die 5- beziehungsweise 10-Jahres-Überlebensrate ohne Krebszellen in den Lymphknoten beträgt 84 Prozent beziehungsweise 67 Prozent, mit Lymphknotenbefall 67 Prozent beziehungsweise 47 Prozent.«
Vor allen Dingen der Online-Rechner zur Überlebenszeit mit metastasiertem Brustkrebs beschert ein Ergebnis zum Weglaufen. Oder anders ausgedrückt: In spätestens fünf Jahren bin ich mit einer nicht zu verachtenden Wahrscheinlichkeit tot. Und ich glaube an Wahrscheinlichkeitsrechnung. Denn ich gehöre zu dem kleinen Anteil von Mathe-Mädchen in diesem Land. Ja. Ich mochte das. Und ja. Ich war da auch noch gut drin.
(Was ich übersehe und was mir erst viel später auffällt, ist, dass diese
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