French, Tana
hatte
sich in ein verblüffendes lavendelfarbenes Outfit geworfen, das eindeutig ihre
beste Garderobe darstellte, und sie hatte seit dem Nachmittag unübersehbar
viel geweint. »Wurde auch Zeit, dass du dich mal blicken lässt.«
»Ich bin
so schnell zurückgekommen, wie ich konnte. Geht's dir einigermaßen?«
Sie kniff
mich mit ihrem Hummerzangengriff, den ich noch gut in Erinnerung hatte, in den
weichen Teil meines Arms. »Komm her, du. Der Bursche von deiner Arbeit, der mit
dem Riesenkinn, der behauptet, Kevin ist aus einem Fenster gefallen.«
Sie hatte
offenbar beschlossen, das als persönliche Beleidigung aufzufassen. Bei Ma weiß
man nie, welche Kriterien dafür erfüllt sein müssen. Ich sagte: »So sieht's
aus, ja.«
»So einen
ausgemachten Blödsinn hab ich ja noch nie gehört. Wie kann dein Freund nur so
einen Schwachsinn reden? Du wirst ihn dir gefälligst vorknöpfen und ihm sagen,
dass unser Kevin doch kein dummer Spasti war und in seinem ganzen Leben noch
aus keinem Fenster gefallen ist.«
Und dabei
hatte Rocky doch nur einem Kumpel einen Gefallen tun wollen, indem er einen
Selbstmord als Unfall hinstellte. Ich sagte: »Ich werd's ihm ausrichten.«
»Fehlt
gerade noch, dass die Leute glauben, ich hätte einen Trottel großgezogen, der
nicht einen Fuß vor den anderen setzen konnte. Ruf ihn an und sag ihm das. Wo
ist dein Telefon?«
»Ma, er
hat Feierabend. Wenn ich ihn jetzt störe, wird er bloß sauer. Ich mach das
morgen früh, einverstanden?«
»Tust du
nicht. Das sagst du nur, damit ich Ruhe gebe. Ich kenn dich, Francis Mackey: Du
warst schon immer ein Lügner, und du hast dich schon immer für gescheiter
gehalten als alle anderen. Na, lass dir eins von mir gesagt sein, ich bin die
Mammy, und du bist nicht gescheiter als ich. Du rufst diesen Burschen jetzt auf
der Stelle an, damit ich es sehe.«
Ich
versuchte, meinen Arm aus ihrem Klammergriff zu befreien, doch sie drückte nur
noch fester zu. »Hast du Angst vor dem Burschen, ist das der Grund? Gib mir das
Telefon, und ich sag's ihm selbst, wenn du nicht den Mumm dazu hast. Los, her
damit.«
Ich
fragte: »Was willst du ihm sagen?« Was ein Fehler war: Der Irrsinnspegel stieg
auch ohne mein Zutun schon schnell genug. »Nur mal interessehalber. Wenn Kevin
nicht aus dem Fenster gefallen ist, was zum Teufel soll ihm deiner Ansicht nach
denn dann passiert sein?«
»Pass auf,
wie du mit mir redest«, fauchte Ma. »Er ist von einem Auto überfahren worden,
was denn sonst? Irgendein Betrunkener war auf dem Weg nach Hause von seiner
Weihnachtsfeier und hat unseren Kevin überfahren, und dann hörst du
gefälligst zu? - hat er, statt dafür geradezustehen wie ein Mann, unseren armen
Jungen in den Garten gebracht und gehofft, es würde ihn keiner finden.«
Sechzig
Sekunden mit ihr, und schon drehte sich mir der Kopf. Erschwerend kam hinzu,
dass ich ihr ja mehr oder weniger zustimmte, was das Thema »aus dem Fenster
gefallen« anging. »Ma. So war es nicht. Keine seiner Verletzungen lässt sich
hinlänglich überzeugend auf einen Autounfall zurückführen.«
»Dann setz
deinen Hintern in Bewegung und find raus, was mit ihm passiert ist! Das ist
dein Beruf und der von deinem hochnäsigen Freund, nicht meiner. Woher soll ich
wissen, was passiert ist? Seh ich etwa aus wie eine Polizistin?«
Ich sah
Jackie mit einem Tablett voller Schnittchen aus der Küche kommen, fing ihren
Blick auf und schickte ihr das superdringende Geschwisternotsignal. Sie
drückte das Tablett dem erstbesten Teenager in die Hände und kam rasch zu mir
rüber. Ma zeterte noch immer ( »Hinlänglich überzeugend, hör sich
den einer an, für wen hältst du dich eigentlich ...«), aber Jackie hakte sich
bei mir ein und sagte mit halblauter Dringlichkeit zu uns beiden: »Komm mit,
ich hab Tante Concepta gesagt, ich würde Francis gleich zu ihr bringen, sobald
er kommt. Sie dreht durch, wenn wir noch länger warten. Wir gehen besser
gleich.«
Ein netter
Schachzug: Tante Concepta ist eigentlich Mas Tante und der einzige Mensch, der
sie in einem Psychoduell der Gladiatoren besiegen kann. Ma schnaubte und
entließ meinen Arm aus der Hummerzange, gab mir aber mit einem Zornesblick zu
verstehen, dass das Thema noch nicht beendet war, und Jackie und ich holten
tief Luft und stürzten uns ins Gewühl.
Es war der
mit Abstand skurrilste Abend meines Lebens.
Jackie
manövrierte mich durch die Wohnung, stellte mich meinen Neffen und Nichten vor,
Kevins früheren Freundinnen — Linda Dwyer
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