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French, Tana

French, Tana

Titel: French, Tana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sterbenskalt
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können.«
    »Und
verstehst du jetzt, warum ich Kevin beneidet habe? Er und Jackie, die konnten
noch richtig glücklich sein. Genau wie ich, als kleines Mädchen. Natürlich hab
ich nie gewünscht, dass ihm was Schlimmes passiert - Gott bewahre. Ich hab ihn
bloß angeschaut und mir gewünscht, auch so sein zu können.«
    Ich sagte
sanft: »Ich denke nicht, dass dich das zu einem schlechten Menschen macht, Melly.
Du hast es schließlich nicht an Kevin ausgelassen. Du hast in deinem ganzen
Leben nie irgendwas getan, um ihm zu schaden. Du warst ihm eine gute
Schwester.«
    »Es ist
trotzdem eine Sünde«, sagte Carmel. Sie blickte traurig in den Raum und
schwankte ein kleines bisschen auf ihren guten Pumps. »Neid. Schon der Gedanke
daran ist eine Sünde, aber das weißt du ja selbst. >Vergib mir, Vater, denn
ich habe gesündigt, in Gedanken, Worten und Werken, durch das, was ich getan
und nicht getan habe ...< Wie soll ich das jemals beichten, jetzt, wo er tot
ist? Ich würde mich für mein Leben schämen.«
    Ich legte
einen Arm um sie und drückte kurz ihre Schulter. Sie fühlte sich weich und
tröstlich an. »Hör zu, Schwesterherz. Ich garantiere dir, wegen ein bisschen
Geschwisterneid kommst du nicht in die Hölle. Wenn überhaupt, wird es umgekehrt
sein: Du kriegst von Gott Extrapunkte, weil du alles getan hast, um darüber
wegzukommen. Klar?«
    Carmel
sagte automatisch: »Du hast bestimmt recht«, - jahrelange Gewohnheit, um Trevor
bei Laune zu halten -, aber überzeugt klang sie nicht. Eine Sekunde lang hatte
ich das diffuse Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben. Dann nahm sie abrupt
Haltung an und vergaß mich völlig: »Um Himmels willen, hat Louise da etwa ein
Bier in der Hand? Louise! Komm sofort her!«
    Louise
riss die Augen auf und verschwand blitzschnell in der Menge. Carmel stürmte
hinter ihr her.
    Ich lehnte
mich in meiner Ecke an die Wand und blieb, wo ich war. Der Raum verwandelte
sich erneut. Tommy Murphy stimmte »The Rare Old Times« an, mit einer Stimme,
die früher klang wie mit Torfrauch und Honig gewürzt. Das Alter hatte die
glatten Kanten aufgeraut, aber er schaffte es noch immer, Gespräche mitten im
Satz verstummen zu lassen. Frauen hoben ihre Gläser und wiegten sich Schulter
an Schulter, Kinder lehnten an den Beinen ihrer Eltern und hörten zu, Daumen
im Mund. Sogar Kevins Kumpel erzählten sich ihre Anekdoten nur noch im
Flüsterton weiter. Tommy Murphy hatte die Augen geschlossen und das Gesicht zur
Decke gehoben. »Raised old songs and
stories, heroes of renown, the passing tales and glories that once was Dublin
town ...« Als mein Blick auf Nora fiel, die am Fensterrahmen lehnte
und zuhörte, blieb mir fast das Herz stehen: Sie sah zu sehr aus wie eine
Schatten-Rosie, dunkel und traurig und ganz still, einfach unerreichbar weit
weg.
    Ich
schaute rasch wieder weg, und da entdeckte ich Mrs Cullen, Mandys Ma, drüben am
Jesus-und-Kevin-Schrein in ein Gespräch mit Veronica Crotty vertieft, die noch
immer so aussah, als hätte sie einen ganzjährigen Husten. Mrs Cullen und ich
konnten uns gut leiden, damals, als ich ein Teenager war. Sie lachte gern, und
ich konnte sie immer zum Lachen bringen. Als ich jetzt jedoch ihren Blick
auffing und lächelte, zuckte sie zusammen, als hätte irgendetwas sie gebissen.
Sie fasste Veronica am Ellbogen und tuschelte ihr aufgeregt ins Ohr, während
sie immer wieder zu mir rüberschielte. Die Cullens waren noch nie besonders
dezent gewesen. Das war der Punkt, an dem ich anfing, mich zu fragen, wieso
Jackie, als ich ankam, eigentlich nicht mit mir zu ihnen gegangen war, um hallo
zu sagen.
    Ich machte
mich auf die Suche nach Des Nolan, Julies Bruder, der auch ein Freund von mir
gewesen war und den wir auf Jackies Begrüßungsrunde irgendwie auch vergessen
hatten. Des' Gesicht, als er mich erblickte, hätte amüsant sein können, wenn
mir nach Lachen zumute gewesen wäre. Er stammelte irgendwas Unverständliches,
deutete auf eine Bierdose, die auf mich keinen leeren Eindruck machte, und verschwand
Richtung Küche.
    Jackie war
von unserem Onkel Bertie in eine Ecke gedrängt worden, damit er ungestört auf
sie einquatschen konnte. Ich setzte eine gequälte
Kurz-vor-dem-Zusammenbruch-Miene auf, befreite sie aus seinen schwitzigen
Fängen und bugsierte sie ins Schlafzimmer, wo ich die Tür hinter uns schloss.
Der Raum war jetzt apricotfarben gestrichen, und jede vorhandene Fläche war mit
irgendwelchen Kinkerlitzchen aus Porzellan bedeckt, was einen gewissen

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