French, Tana
Mangel
an Weitblick bei Ma verriet. Es roch nach Hustensaft und etwas anderem,
medizinisch und stärker.
Jackie
ließ sich aufs Bett fallen. »Herr im Himmel«, sagte sie, fächelte sich Luft zu
und atmete tief aus. »Tausend Dank. Jesses, ich weiß, lästern gehört sich
nicht, aber hat der Mann schon mal was von duschen gehört?«
»Jackie«,
sagte ich. »Was ist hier los?«
»Wie
meinst du das?«
»Die
meisten Leute hier reden kein Wort mit mir, sie schauen mir nicht mal in die
Augen, aber sie haben jede Menge Gesprächsstoff, wenn sie glauben, dass ich
nicht hinsehe. Also, was liegt an?«
Jackie
schaffte es, gleichzeitig arglos und durchtrieben zu blicken, wie ein Kind, das
mit Schokoladenmund abstreitet, genascht zu haben. »Du warst weg. Die Leute
haben dich zwanzig Jahre nicht gesehen. Sie fremdeln nur ein bisschen.«
»Blödsinn.
Liegt es daran, weil ich jetzt Bulle bin?«
»Ach
Quatsch. Na ja, vielleicht ein bisschen. Übergeh das doch einfach. Vielleicht
bist du ja bloß paranoid.«
Ich sagte:
»Ich muss wissen, was los ist, Jackie. Ich meine es ernst. Verscheißer mich
jetzt nicht.«
»Jesses,
nun mach aber mal halblang. Ich bin schließlich keine Verdächtige von dir.« Sie
schüttelte die Cider-Dose in ihrer Hand. »Weißt du zufällig, ob hiervon noch
was da ist?«
Ich hielt
ihr mein Guinness hin - ich hatte kaum davon getrunken. »Raus mit der Sprache«,
sagte ich.
Jackie
seufzte, drehte die Dose zwischen den Händen. Sie sagte: »Du kennst doch die
Leute hier. Wenn sie irgendwo einen Skandal wittern ...«
»Stürzen
sie sich drauf wie die Aasgeier. Was hat mich zur heutigen Hauptspeise
gemacht?«
Sie zuckte
beklommen die Achseln. »Rosie wurde in der Nacht getötet, als du verschwunden
bist. Kevin ist in der zweiten Nacht gestorben, nachdem du wiedergekommen
bist. Und du hast den Dalys gesagt, sie sollten nicht zur Polizei gehen. Ein paar
Leute ...«
Sie ließ
den Satz unvollendet. Ich sagte: »Bitte, Jackie, sag, dass du mich verarschst.
Sag, dass die Leute nicht glauben, ich hätte Rosie und Kevin getötet.«
»Nicht
alle. Nur ein paar. Ich denke, Francis, hör mir zu — ich denke, so richtig
glauben sie es selbst nicht. Die sagen das nur, weil es als Geschichte mehr
hermacht - wo du so lange weg warst und jetzt Bulle bist und so. Mach dir
nichts draus. Die wollen einfach nur noch mehr Drama, mehr nicht.«
Ich
merkte, dass ich noch immer Jackies leere Dose in der Hand hielt und sie völlig
zerquetscht hatte. Ich hatte das von Rocky erwartet, vom Rest der Wichtigtuer
im Morddezernat, vielleicht sogar von ein paar Jungs in der
Undercoverabteilung. Ich hatte es nicht von den Leuten aus meiner Straße
erwartet.
Jackie
betrachtete mich besorgt. »Verstehst du, was ich meine? Außerdem ist jeder, der
Rosie das angetan haben könnte, von hier. Die Leute wollen einfach nicht
glauben -«
Ich sagte:
»Ich bin von hier.«
Schweigen.
Jackie streckte zögerlich eine Hand aus und wollte meinen Arm berühren. Ich
riss ihn weg. Der Raum kam mir zu schlecht beleuchtet und bedrohlich vor,
Schatten drängten sich zu dicht in den Ecken. Draußen im Wohnzimmer fielen
Leute mehr schlecht als recht mit ein, als Tommy sang: »The years
haue made me bitter, the gargle dims my brain, and Dublin keeps on changing;
nothing seems the same ...«
Ich sagte:
»Irgendwelche Leute haben mich beschuldigt, sie haben es dir ins Gesicht
gesagt, und du lässt sie in dieses Haus?«
»Hast du
sie noch alle?«, blaffte Jackie mich an. »Zu mir hat keiner ein Wort gesagt,
glaubst du, das würde sich einer trauen? Ich würde ihn in Einzelteile zerlegen.
Alles nur Andeutungen. Mrs Nolan hat zu Carmel gesagt, dass du immer da bist,
wenn was passiert, Sallie Hearne hat zu Ma gesagt, du wärst schon immer ein
Hitzkopf gewesen und dass sie sich noch erinnern kann, wie du Zippy mal eine
blutige Nase geschlagen —«
»Weil er
Kevin schikaniert hat. Deshalb hab ich ihm eins auf die Nase gegeben, verdammt.
Als wir etwa zehn waren.«
»Das weiß
ich doch. Achte nicht auf sie, Francis. Gib ihnen nicht die Genugtuung. Das
sind alles bloß Idioten. Man sollte meinen, sie hätten selbst genug Drama am
Hals, aber anscheinend reicht es ihnen nicht. So sind die Leute hier nun mal.«
»Ja«,
sagte ich. »So sind die Leute hier.« Draußen wurde der Gesang lauter,
kräftiger, als mehr Stimmen mit in den Refrain einfielen: »Ring-a-ring-a-rosy,
as the light declines, I remember Dublin city in the rare oul'times ...«
Ich lehnte
mich
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