Freu dich des Lebens
Crowley schließlich dingfest gemacht hatte, erklärte der Polizeikommissar, es handle sich um einen der gefährlichsten Verbrecher, den New York je gesehen habe. »Er schießt, wenn eine Maus raschelt.«
Was aber dachte Crowley von sich selbst? Während die Polizei in sein Versteck hineinfeuerte, schrieb er einen Brief »An alle, die es angeht«. Während er schrieb, floss das Blut aus seinen Schusswunden und hinterließ eine rote Spur auf dem Papier. In Crowleys Brief stand: »In meiner Brust schlägt ein müdes, aber gütiges Herz - ein Herz, das niemandem Unrecht tun könnte.«
Kurze Zeit zuvor hatte Crowley auf einer ländlichen Straße draußen in Long Island mit seiner Freundin ein Schäferstündchen abgehalten. Unverhofft kam ein Polizist auf seinen geparkten Wagen zu und sagte: »Lassen Sie mich doch mal Ihren Führerschein sehen.«
Ohne ein Wort zog Crowley den Revolver und streckte den Polizisten mit einem Bleihagel nieder. Als der Mann, tödlich getroffen, hinfiel, sprang Crowley aus dem Wagen, nahm ihm den Revolver ab und feuerte noch einen letzten Schuss in den hingestreckten Körper. Das war der Killer, der behauptete: »In meiner Brust schlägt ein müdes, aber gütiges Herz - ein Herz, das niemandem Unrecht tun könnte.«
Crowley wurde zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt. Als er in der Todeszelle von Sing Sing ankam, sagte er aber nicht etwa: »Das habe ich nun davon, dass ich Menschen umgebracht habe.« Nein, er sagte: »Das habe ich nun davon, dass ich mich verteidigt habe.«
Die Moral von der Geschichte: Crowley fühlte sich nicht im geringsten schuldig.
Wenn Sie meinen, das sei eine für einen Verbrecher eher ungewöhnliche Haltung, dann lesen Sie einmal die folgenden Sätze: »Ich habe meine besten Jahre damit zugebracht, meinen Mitmenschen Freude zu bereiten, damit sie im Leben ein bisschen Spaß haben. Zum Dank dafür werde ich nun beschimpft und verfolgt.«
Diese Worte sprach Al Capone, einst Amerikas bekanntester Staatsfeind - der gefährlichste Gangsterchef, den Chicago je gekannt hatte. Capone war sich keiner Schuld bewusst. Er sah sich im Gegenteil als öffentlicher Wohltäter - als verkannter und missverstandener Wohltäter allerdings.
Das gleiche dachte Dutch Schultz, ehe er in Newark unter den Kugeln anderer Gangster zusammenbrach.
Schultz, einer der berüchtigsten Halunken von New York, bezeichnete sich in einem Zeitungsinterview als öffentlichen Wohltäter. Und er glaubte durchaus, was er sagte.
Ich habe über dieses Thema mit einem Direktor von Sing Sing eine interessante Korrespondenz geführt. Er erklärte mir in einem seiner Briefe: »Nur wenige Verbrecher in Sing Sing halten sich für schlecht. Sie betrachten sich als Menschen wie Sie oder ich. Sie sind jederzeit mit Erklärungen und Begründungen zur Hand. Jeder kann Ihnen haargenau sagen, warum er einen Safe knacken oder den Revolver ziehen musste. Die meisten versuchen ihre asoziale Handlungsweise durch mehr oder weniger fadenscheinige Argumente sogar vor sich selbst zu rechtfertigen und sind überzeugt, dass man sie nie hätte einsperren dürfen.«
Wenn schon Al Capone, Crowley, Dutch Schultz und all die Männer und Frauen hinter Gefängnismauern sich nichts vorzuwerfen haben - wie steht es denn da erst mit jenen Leuten, mit denen wir täglich verkehren?
Der Unternehmer John Wanamaker sagte einmal: »Ich habe schon vor dreißig Jahren gelernt, dass es dumm ist, andere Leute zu kritisieren. Ich habe genug Verdruss mit meiner eigenen Beschränktheit, ohne mich noch darüber aufzuregen, dass der liebe Gott es offensichtlich nicht für richtig hielt, alle Menschen mit gleich viel Intelligenz auszustatten.«
Wanamaker kam schon früh zu dieser Erkenntnis, während ich selbst erst ein Dritteljahrhundert lang auf dieser alten Erde umhertappen musste, bevor mir endlich dämmerte, dass in neunundneunzig von hundert Fällen kein Mensch sich jemals selbst beschuldigt, mag er auch noch so sehr im Unrecht sein.
Kritik ist nutzlos, denn sie drängt den anderen in die Defensive, und gewöhnlich fängt er dann an, sich zu rechtfertigen. Kritik ist gefährlich, denn sie verletzt den Stolz des anderen, kränkt sein Selbstgefühl und erweckt seinen Unmut.
Der weltberühmte Psychologe und Verhaltensforscher B. F. Skinner bewies durch seine Versuche, dass ein Tier, das für gutes Benehmen belohnt wird, viel schneller lernt und das Gelernte weitaus besser behält als ein Tier, das für schlechtes Benehmen bestraft wird.
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