Freu dich des Lebens
Bühne in ein strahlendes, geheimnisvolles und verführerisches Wesen. Er wusste um den Wert der Anerkennung und gab den Frauen durch seine bloße Galanterie und Aufmerksamkeit das Gefühl, schön zu sein. Er ließ es aber auch an praktischer Aufmunterung nicht fehlen und steigerte die Gage seiner Revuetänzerinnen von dreißig auf hundertfünfundsiebzig Dollar in der Woche. Außerdem benahm er sich als Kavalier: Nach einer Premiere schickte er den Stars Glückwunschtelegramme und überschüttete jedes Girl in der Show mit Rosen.
Ich hatte einmal die Marotte zu fasten und blieb sechs Tage und Nächte ohne Essen. Es war nicht sehr schwierig, am Ende des sechsten Tages war ich weniger hungrig als am Ende des zweiten. Sie und ich aber wissen, dass es als ein Verbrechen angesehen würde, wenn jemand seine Familie oder seine Angestellten sechs Tage lang ohne Nahrung ließe; hingegen lässt man sie sechs Tage, sechs Wochen, manchmal sogar sechzig Jahre lang ohne ein herzliches Wort der Anerkennung, wonach sie mindestens ebenso hungern wie nach Brot.
Wohl füttern wir unsere Kinder, Freunde und Angestellten mit körperlicher Nahrung, selten jedoch nähren wir ihre Selbstachtung. Wir setzen ihnen Schnitzel und Kartoffel vor, damit sie bei Kräften bleiben; aber wir denken nicht daran, ihnen ein paar anerkennende Worte zu sagen, die in ihrer Erinnerung weiterklingen würden wie die Töne einer Äolsharfe.
In seiner Radioserie Der Rest der Geschichte erzählte Paul Harvey einmal, wie aufrichtige Anerkennung das ganze Leben eines Menschen ändern kann. Er berichtete, wie vor Jahren eine Lehrerin ihren Schüler Stevie Morris bat, ihr dabei zu helfen, eine Maus zu finden, die sich ins Schulzimmer verirrt hatte. Damit zollte sie der Tatsache Anerkennung, dass Stevie eine Gabe hatte, die außer ihm sonst keiner in der Klasse besaß. Die Natur hatte den Jungen mit einem außerordentlich feinen Gehör für seine blinden Augen entschädigt. Und das war das erste Mal in seinem Leben, dass Stevie für seine Ohren Anerkennung erhielt. Wie er später selbst sagte, war dieser Ausdruck von Anerkennung für ihn der Beginn eines neuen Lebens. Von da an trainierte er sein Gehör und wurde unter dem Namen Stevie Wonder einer der größten Popsänger und Liedermacher der siebziger Jahre.
Viele Leser denken jetzt vielleicht: »Ach, Quatsch! Alte Klamotten! Hab’ ich alles schon versucht. Schmeicheleien, Honig um den Bart streichen - das zieht nicht - nicht bei intelligenten Leuten.«
Natürlich kommt man mit seichter, selbstsüchtiger und falscher Schmeichelei bei klugen Menschen selten an.
Das ist auch richtig so, obschon es auch unter ihnen Menschen gibt, die so sehr nach Anerkennung hungern und dürsten, dass sie unbesehen alles schlucken - wie ein Verhungernder, der sich auf Gras und Würmer stürzt.
Sogar Queen Victoria war für Schmeicheleien empfänglich. Premierminister Benjamin Disraeli gestand, dass er bei Verhandlungen mit der Königin jeweils dick aufgetragen habe, ›wie mit einer Maurerkelle‹, um seine eigenen Worte zu wiederholen. Aber Disraeli war einer der besten, pfiffigsten und gewandtesten Staatsmänner, die je das britische Weltreich regiert haben. Er war in seiner Art ein Genie, und was für ihn galt, gilt nicht unbedingt für jeden. Auf lange Sicht trägt Schmeichelei dem Schmeichler mehr Schaden ein als Nutzen. Schmeichelei ist falsch, und wie Falschgeld kann auch Schmeichelei demjenigen Schwierigkeiten bereiten, der versucht, sie bei anderen anzubringen.
Woran aber erkennt man den Unterschied zwischen Anerkennung und Schmeichelei? Ganz einfach: Die eine ist echt, die andere unecht. Die eine kommt aus dem Herzen, die andere aus dem Mund. Die eine ist selbstlos, die andere selbstsüchtig. Die eine wird allgemein geliebt, die andere allgemein verurteilt.
Ich sah kürzlich eine Büste des mexikanischen Helden General Obregon im Chapultepec-Palast in Mexico City.
Unter der Büste standen die weisen Worte des Generals:
»Fürchte dich nicht vor Feinden, die dich angreifen. Hüte dich vor den Freunden, die dir schmeicheln.«
Ich möchte um Gottes willen nicht missverstanden werden: Ich spreche nicht der Schmeichelei das Wort! Weit gefehlt! Ich spreche von einer neuen Lebensweise.
König Georg V. hatte an der Wand seines Arbeitszimmers im Buckingham-Palast sechs Wahlsprüche hängen.
Einer davon lautete: »Man soll niemals billiges Lob austeilen noch annehmen.« Was ist Schmeichelei anderes als »billiges Lob«?
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