Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
kennen?“
„Woher soll ich das wissen?“ Sie seufzte.
Wir tranken und sahen durch die große Scheibe auf die Straße. Fast kein Verkehr mehr.
Plötzlich packte mich Ulrike beim Arm. „Sie kann in der Bibliothek gewesen sein.“
„War Zuckerbrot dort?“
„Nein, ich bin in der Aufregung nicht auf die Idee gekommen. Sie ist nicht im Museumstrakt, sondern in der ehemaligen Privatwohnung Freuds. Und sie hat heute offen gehabt.“
„Wir gehen zurück.“
Zehn Minuten später schaltete Ulrike die Alarmanlage wieder aus und führte mich durch einen engen Gang in die Bibliothek. Bücher bis zur Decke und in der Mitte ein langer Tisch mit harten Sesseln. Kein Buch lag herum, kein Blatt Papier. Kahle Sauberkeit. Fehlanzeige.
Ulrike deutete auf einige gestapelte Bücher. „Das sind die Exemplare, die sich unsere Besucher zum Weiterlesen auf die Seite legen lassen. Jetzt müssten wir nur mehr wissen, falls sie da war, welches Buch sie gelesen hat und ob sie darin weiterlesen wollte.“
„Und es gibt niemanden, der das weiß?“
„Diese Woche hat Tomas Dienst. Wenn die Bücher bloß hier in der Bibliothek gelesen werden, verlangen wir keinen Ausweis. Wir wissen nicht, wer da kommt und liest. Aber vielleicht hat er mit ihr geredet. Wir sind ja kein Massenbetrieb.“
„Also weiß er, wer sie ist?“
„Keine Ahnung. Wir hatten bis heute das japanische Kamerateam, das hat uns ganz schön auf Trab gehalten.“
„Ruf ihn an.“
„Jetzt?“
„Meinst du, dass ihm ein Mord im Museum egal ist?“ Ich streckte ihr mein Mobiltelefon entgegen. Sie blätterte in ihrem Telefonbuch und wählte. Tomas konnte sich erinnern, zwar nicht an einen Namen, aber an ihr Äußeres. Doch schon bei der Nationalität war er sich unsicher. Englischsprachig sei sie gewesen, vermutete er. Aber vielleicht sei er auch nur deshalb der Meinung, weil sie sich ein englischsprachiges Buch ausgeliehen habe. „Freud’s Women“. Da sei er sicher. Dann folgte ein wahres Feuerwerk an Fragen.
„Vielleicht eine Amerikanerin“, sagte ich, als mir Ulrike das Telefon zurückgab.
„Nicht unbedingt. Viele lesen originalsprachige Bücher. Aber es kann schon sein.“
Wir fanden den Band als drittobersten im Bücherstoß. Ich suchte wieder einmal nach einem Taschentuch, wickelte es um meine Hand und blätterte vorsichtig. Ich weiß nicht, was ich zu finden gehofft hatte. Enttäuscht wollte ich das Buch schon wieder zur Seite legen, als ich die Ecke eines eingelegten Zettels bemerkte. Mit spitzen Fingern schlug ich es auf der markierten Seite auf.
„Birkengasse 14“ stand auf dem Zettel. Und darunter: „Birkengasse 14?“ Und darunter noch einmal „Birkengasse 14“ mit ein paar Schnörkeln. Als Abschluss gab es eine ganze Reihe von Fragezeichen. Wir sahen einander an.
„Der Zettel kann schon lange im Buch liegen“, meinte Ulrike.
Ich konnte sie dennoch nicht davon abhalten, Zuckerbrot jetzt und auf der Stelle von unserem Fund zu erzählen. Morgen früh wäre mir früh genug erschienen. Ausnahmsweise war Zuckerbrot einer Meinung mit mir. Er versprach, sich die Sache morgen anzusehen und gab Ulrike den Auftrag, bis zu seinem Eintreffen niemanden in die Bibliothek zu lassen. Das hatte sie davon.
Ich brachte Ulrike heim und sah im Stadtplan nach. Birkengasse, eine Gasse in Währing, einem der Bezirke am nordwestlichen Stadtrand, mit immer mehr Grün, je näher man der Stadtgrenze und dem Wienerwald kam. Wenigstens ansehen wollte ich mir das Haus mit dieser Adresse.
Die Birkengasse war eine ruhige, schmale Wohnstraße, links und rechts vollgeparkt mit Autos. Die Straßenlaternen warfen ein mildes Licht auf die hohen Bäume vor den Bürgerhäusern. Drei-, vierstöckige Gebäude, meist von einem kleinen Garten umgeben. Dahinter lagen die Ausläufer des Erzherzog-Karl-Parks. Eine gute Wohnadresse. Vor einigen Jahren hatte ich in dieser Gegend eine Mietwohnung besichtigt. Sie war mir dann aber doch zu teuer gewesen. Birkengasse 14. Ich hielt in zweiter Spur und stieg aus. Ein dreistöckiges Gebäude, gelb verputzt. Ein gepflegter Vorgarten mit einem Beet voller Frühlingsblumen, ein grün gestrichener Metallzaun mit einem großen Tor vor der Garageneinfahrt und einer kleineren Tür, von der ein gepflasterter Weg zum Hauseingang führte. Alles strahlte Wohlstand und Sauberkeit aus. Das Garagentor war geschlossen. Längst waren die Bewohner des Hauses heimgekommen. Kein Mensch zu sehen. Auf dem Mülleimer hinter dem Zaun saß eine große rote
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