Freudsche Verbrechen. Ein Mira-Valensky-Krimi
Kriminalreporter beim „Blatt“. Dem größten Sudelblatt, das es in unserem schönen Land gab. Der andere war eindeutig sein Fotograf. Der Ton der Türklingel ließ uns beide zusammenzucken. „Nicht aufmachen“, sagte ich, „die Medien sind vor der Polizei da.“ Ulrike sah mich fragend an. „Das ist üblich, sie hören den Polizeifunk ab. Und manchmal sind sie eben schneller. Da kommen sicher bald noch ein paar.“ Ich hatte Recht. Die nächsten drei Kollegen trafen gleichzeitig mit der Polizeitruppe ein. Der Dauerklingelton riss ab. Blaulichter, Blitzlichter, eine kurze, aber heftige Diskussion zwischen den Reportern und den Polizeibeamten. Dann wieder die Türklingel. Ulrike ging zur Gegensprechanlage.
„Polizei, Mordkommission. Sie haben uns angerufen. Bitte machen Sie auf.“
„Ich will aber keine Medien.“
„Die bleiben draußen. Versprochen.“
Ulrike drückte auf den Summer. Wir gingen den Polizeibeamten entgegen.
Es war Zuckerbrots Kommission. Schon wollte ich erleichtert auf Zuckerbrot zugehen und ihm das wenige, das ich bisher wusste, erzählen. Da sah ich, wie sein Gesicht förmlich erstarrte. „Was machen Sie hier?“
„Ich bin eine Schulfreundin.“
Er wandte sich an Ulrike. „Sie ist vom ‚Magazin’. Wissen Sie das?“
Ulrike sah ihn mit erhobenem Kinn an. „Ja. Und sie ist meine Schulfreundin. Und da Sie so lange nicht gekommen sind und ich ganz allein war, habe ich sie angerufen. Sie kennt sich ja aus mit Mord und solchen Sachen.“
Zuckerbrot seufzte. „Zeigen Sie mir die Tote.“ Und zu mir gewandt: „Sie warten im Vorzimmer. Wenn Sie nicht gehen wollen. Was besser wäre.“
„Die Tote liegt im Vorzimmer.“
Zuckerbrot sah sich um.
„In Freuds Vorzimmer.“
„Sie jedenfalls bleiben in diesem Vorzimmer.“
„Also im Museumsvorzimmer“, kommentierte Ulrike.
Offenbar hatte sie sich von ihrem Schock ganz gut erholt. Zuckerbrot dirigierte sein Team zum Tatort. Ich hatte die Tote ohnehin schon gesehen. Und seit meiner Story über das Leben und das Sterben der Stars der volkstümlichen Unterhaltungsmusik kannte ich mich aus mit der Spurensicherung. Die Prozedur würde lange dauern und jedenfalls für mich keinen unmittelbaren Sinn ergeben. Ich schlenderte durch die Räume. Viele Bilder von alten Männern. Oder sahen sie mit ihren steifen Krägen und ernsten Gesichtern älter aus, als sie waren? Bücher, Gruppenfotos. Sigmund Freud mit Frau, mit Kollegen. Würdig und mit weißem Bart. So, als hätte es einen jungen Sigmund Freud gar nicht gegeben. Warum nur wollte man sich immer an die alten Männer erinnern? Oder hatten sie sich als junge Männer bloß nicht bedeutend genug gefühlt, um ständig für Porträtfotos zu sitzen? Ich gebe zu, viel wusste ich nicht über Freud. Natürlich, er war „der Vater der Psychoanalyse“ und es gab freudsche Versprecher und er musste als Jude in der Nazizeit fliehen. In dieser Wohnung also hatte er gelebt und gearbeitet. Heute war in dieser Wohnung eine junge Frau ermordet worden. Ein Zufall? Oder hatte jemand den Ort bewusst gewählt? Als eine Art psychoanalytischer Inszenierung vielleicht?
Besser, an das Nächstliegende zu denken. Ich sollte mit meinem Chefredakteur telefonieren. Mord im Freud-Museum. Allemal eine Doppelseite in unserer nächsten Ausgabe wert. Natürlich meldete er sich bereits nach dem zweiten Klingeln. Mobiltelefone waren für Menschen wie ihn erfunden worden.
„Aha, Sie sind wieder über einen Mord gestolpert“, ließ er vernehmen. So als ob ich vor mich hin spazierte und dabei dauernd auf Leichen stieße.
„Meine Schulfreundin hat sich an die Volksmusikmorde erinnert.“
„Lassen Sie mich morgen wissen, was es mit dem alten Freud und der jungen Toten auf sich hat.“ Das klang selbst für seine Verhältnisse übertrieben lässig. Schmierenschauspieler, der einen Chefredakteur mimt. Sicher war er in Gesellschaft. Wahrscheinlich in einem der Wiener In-Lokale. Ich dachte kurz an meinen Branzino. Keine Zeit für Hunger. Für Genuss schon gar nicht.
Ich setzte mich wieder in den Museumsshop und sah mich um. Bücher in hohen Regalen, in Deutsch, Englisch, Französisch. Einige wenige Souvenirs. Wer war die Tote? Gerade als ich aufstehen wollte, um ein paar der Bücher näher zu betrachten, kam Ulrike. „Ich soll auch warten.“
„Was haben sie dich gefragt?“
„Das, was du mich auch schon gefragt hast. Außerdem habe ich ihnen eine Liste mit den Museumsmitarbeiterinnen gegeben. Sie wollen sie morgen
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