Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)

Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition)

Titel: Freuet Euch, Bernhard kommt bald!: 12 unweihnachtliche Weihnachtsgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
Vom Netzwerk:
gemacht. Er war wohl auch in den ersten Jahren richtig neugierig auf die Landschaften in den neuen Ländern. Auf Rügen hat er, ich glaube 1992, ein Touristenpaar aus Kevenich in etwa vierzig Geschenkpakete verpackt, die dann von der ahnungslosen Kreisverwaltung am Heiligen Abend im Obdachlosenheim an Bedürftige verteilt wurden. Im Erzgebirge hat er die Räucherstäbchen der Räuchermännchen mit bewusstseinsverändernden Drogen versetzt, und zwar in einem Skiort. Nirgendwo in Deutschland wird Weihnachten so intensiv begangen wie im Erzgebirge. Am ersten Feiertag war auf den Pisten die Hölle los. Das ist aber das einzige Mal gewesen, wo eine Tat relativ glimpflich ausgegangen ist, ein paar Dutzend Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen, drei Männer, die aus den Gondeln gesprungen sind, eine Massenschlägerei unter Skilehrern, mehr war nicht.
    Wir haben, unter Kollegen, in dieser Zeit immer selbst verständlicher vom »Weihnachtsmörder« gesprochen. Buschmann hat, wie gesagt, schon relativ früh, gegen den Widerstand unserer Vorgesetzten, die These vertreten, dass es sich um einen Einzeltäter handeln muss. Wenn es bei einer so umfangreichen und komplexen, lang anhaltenden und aufsehenerregenden Mordserie Mittäter oder Helfer oder Mitwisser gibt, dann wird unweigerlich früher oder später jemand einen Fehler machen, oder jemand wird sich verplaudern.
    Inzwischen war die Öffentlichkeit voll im Bilde, dauerhaft vertuschen kannst du so was nicht. Und Sie wissen ja selbst, wie sich die deutsche Weihnacht verändert hat, seitdem. Die Bevölkerung geht davon aus, dass jeder Heilige Abend ein oder mehrere Opfer fordert. Die Wahrscheinlichkeit, dass man selber ein Opfer des Weihnachtsmörders wird, ist, statistisch gesehen, natürlich verschwindend gering. Bitte sehr, dieses Land hat mehr als achtzig Millionen Einwohner. Statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit deutlich größer, am Heiligen Abend von seinem Ehepartner ermordet zu werden oder an einer Alkoholvergiftung zu sterben. Aber der Mensch handelt nicht rational, an Weihnachten erst recht nicht. Am Heiligen Abend macht heute fast keiner mehr die Tür auf, wenn es klingelt. Studenten können sich nicht mehr, als Weihnachtsmann verkleidet, ein paar zusätzliche Euro verdienen. Die Besucherzahl der Weihnachtsgottesdienste ist um fünfzig Prozent gesunken. Die Kollegen von der Schutzpolizei schieben am Heiligen Abend Sonderschichten.
    Das alles ist sehr traurig. Die deutsche Weihnacht, wie wir sie kennen, war einmal. Und der Druck auf unsere Sonderkommission ist dabei pausenlos gewachsen, das versteht sich von selbst. Buschmann ist von Jahr zu Jahr dünner und grauer geworden.
    Was wussten wir über den Täter? Es handelte sich höchstwahrscheinlich um einen Mann, weil für einige der Verbrechen große Körperkraft erforderlich war. Die meisten Taten waren eine gewaltige Herausforderung für eine Einzelperson, gewiss. Aber wir mussten berücksichtigen, dass der Täter pro Jahr immer nur einmal zuschlug und ihm deshalb zwölf Monate Zeit für eine minutiöse Vorbereitung zur Verfügung standen.
    Wir Kriminalisten glauben, dass man, um einen Täter zu fassen, zuerst einmal das Motiv finden muss. Einen möglichen islamistischen Hintergrund haben wir, nicht zuletzt auf Wunsch des Innenministeriums, gründlich geprüft und dann ausgeschlossen. Ein politisches Strick muster war nicht zu erkennen. Der Pfarrer war in der CDU gewesen, der Kreissekretär war ein alter SED -Kader. Politisch war dieser Täter indifferent bis uninteressiert. Sonst hätte es ja auch, aller Erfahrung nach, ein Bekennerschreiben gegeben.
    Die Taten fanden nicht nur am 24. Dezember statt, sie hatten auch alle mit weihnachtlichem Brauchtum oder mit der Weihnachtsgeschichte zu tun. Im Wuppertaler Zoo war Mitte der Neunziger eine wirklich schöne Weihnachtskrippe aufgebaut, mit Ochs und Esel und allem. Am ersten Feiertag kamen die Tierpfleger morgens zum Dienst, und sowohl der Ochse als auch der Esel waren über Nacht zu Dosenfleisch verarbeitet worden. Klar, da waren wir irgendwie erleichtert, das war wenigstens mal ein Jahr ohne menschliches Opfer. Für uns war damit auch endgültig klar, dass dieser Typ ein pathologischer Weihnachtshasser sein muss. Dem kam es auf Weihnachten an und auf nichts anderes. Wir haben mit Psychologen geredet, aber was die uns erzählten, konnten wir uns auch selber zusammenreimen: Der Killer hat was Traumatisches oder Frustrierendes in Zusammenhang mit

Weitere Kostenlose Bücher