Freunde müssen töten - Thriller (German Edition)
ihn Brauns Blick streifte, hob er zustimmend seinen Daumen und nickte Braun aufmunternd zu.
Wagner gab dem Oberstaatsanwalt ein Zeichen und dieser beendete die Pressekonferenz eloquent wie immer, bedankte sich bei den Anwesenden und stellte sich taub bei den noch vereinzelt hochbrandenden Fragen. Als bereits alle Journalisten den Saal verlassen hatten, stand auch Braun auf und versetzte seinem Stuhl einen wütenden Fußtritt, ehe er als Letzter den Saal verließ. In seinem Kopf waren nur noch Kälte und Leere.
12. Die Warnung
Sherban war nur einmal wütend geworden. Marusha saß auf dem durchhängenden Bett in der winzigen Einzimmerwohnung und versuchte gerade, Ludmilla, ihrer besten Freundin aus Ternopol, eine SMS zu schicken. Sie war so vertieft in das hektische Tippen, in das ausufernde Schildern der vielen neuen Eindrücke, der Beschreibung von Sherban, dass sie überhaupt nicht mitbekam, das Sherban schon länger in ihrem Zimmer stand. Erst als seine Hand wie die Pranke eines Tigers nach vorne geschossen war und ihr das Handy aus der Hand gerissen hatte, war sie wieder zurück in der Wirklichkeit, hatte zunächst fassungslos beobachtet, wie er ihr kostbares Handy einfach auf den Boden geschleudert und mit dem Absatz seines Stiefels zertreten hatte.
Gleich am nächsten Tag hatte er sie schon früh am Morgen abgeholt und ihr schweigend zugesehen, wie sie sich vor dem kleinen fleckigen Spiegel geschminkt hatte.
„Heute ist dein erstes Casting, Täubchen“, dabei bleckte er die Zähne wie ein Raubtier und Marusha lächelte scheu und ihre Finger zitterten, als sie ihre samtigen Wimpern tuschte.
„Gib dich locker und natürlich. Und vor allem – halte den Mund. Rede kein Wort! Der Kunde wird dir schon sagen, was du zu tun hast.“
In einem länglichen Raum, dessen Fenster mit schwarzer Folie beklebt waren, befand sich ein verspiegelter Laufsteg, auf dem Marusha in den vergangenen Tagen das elegante Gehen geübt hatte. Dabei hatte sie sich nicht ungeschickt angestellt, manchmal hatte eines der Mädchen, die ab und zu bei Madonna Models auftauchten, schweigend zugesehen, aber im Grunde fanden alle diese Trainingseinheiten lächerlich, doch wenn Marusha sie nach ihrer Meinung fragte, sagten sie nur „very good“ und hielten grinsend den Daumen in die Höhe.
Diesmal war es jedoch anders. Diesmal war Musik aus versteckten Lautsprechern zu hören, diesmal war es keine Trainingseinheit für Marusha, diesmal stand Sherban mit verschränkten Armen vor dem verspiegelten Laufsteg und unterhielt sich leise mit einem Mann in einem dunklen Anzug, der aufsah, als Marusha den Raum betrat.
„Los, Marusha, geh für uns auf und ab!“ Sherban klatschte aufmunternd in die Hände. „Los, bewege dich zur Musik!“
„Sie soll wie eine Katze auf allen Vieren gehen.“ Der Mann hatte blonde Haare und sprach völlig emotionslos mit österreichischem Akzent.
„Hast du gehört?“ Als Marusha nicht sofort auf die Knie ging, gab ihr Sherban einen leichten Klaps auf den Hinterkopf. „Das ist ein Casting! Du musst die Wünsche des Kunden erfüllen!“, zischte er.
„Strecke den Hintern mehr in die Höhe!“, gab er Anweisung, als Marusha sich auf allen Vieren tatsächlich geschmeidig wie eine Katze über den spiegelnden Laufsteg schlängelte und mit dem pulsierenden Beat und dem flackernden Licht zu einem blitzenden Sternbild verschmolz, kleine funkelnde Blitze ausschickte, wenn sie ihre blonde Mähne schüttelte und mit wildem Blick hinter das Licht starrte, wo sie Sherban und den Kunden vermutete.
„Habe ich Ihnen zu viel versprochen?“, hörte sie im abebbenden Sound Sherbans Stimme, die sich schmeichelnd, glatt und ölig wie ein glänzender Aal über ihren Körper schlängelte.
„Ja, ich finde sie ganz okay“, sagte der Mann, ohne besonderes Interesse. „Ich gebe dir Bescheid, wann der Transport startet.“ Er trat noch weiter zurück in die Finsternis, hinter die Scheinwerfer, die gnadenlos auf den Laufsteg brannten.
Noch immer mit den zuckenden Blitzen auf der Netzhaut war Marusha draußen am Gang blind umhergetaumelt und direkt in Lola hineingelaufen.
„Pass auf, du blindes Huhn!“
Langsam konnte sie wieder klar sehen, das harte Gesicht von Lola setzte sich Stück für Stück zusammen: Die pechschwarzen Haare, die bleiche Stirn mit der senkrechten Einkerbung zwischen den Brauen, die blauen Augen, jetzt rotunterlaufen vom schmierigen Rauch, der von der Zigarette aufstieg, die Lola zwischen ihre blutrot
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