Freundin für Allie
deine Tasche, Oma?« Mark zeigte wieder auf eine graue Reisetasche mit einem roten Bändchen.
»Nein«, sagte Oma wieder. »Für was in aller Welt braucht man sechs Herdplatten? Wollt ihr vielleicht eine Armee bekochen?«
»Oma«, sagte ich. Auf einmal hatte ich das Gefühl, dass mir die Felle wegschwammen, weil ich kein Willkommensschild mitgebracht oder ein Piratenkostüm angezogen hatte. Das Einzige, was ich fertiggebracht hatte, war eine hübsche Frisur. »Hast du schon gehört? Ich mache bei einem BuchstabierWettbewerb mit! Und zwar nicht bei irgendeinem, sondern gegen Fünftklässler …«
»Und der? Ist das deiner?«, fragte Kevin und warf sich beinahe auf einen anderen grauen Koffer. »Ja?«
»Ja, der ist es«, sagte Oma. »Kann ihn vielleicht einer vom Band holen, bevor er noch eine Runde dreht?«
Mark warf sich auf den Koffer, landete auf dem Gepäckband und fuhr mit den Koffern weiter. Kevin schrie vor Schreck und Mom rannte hinter Mark her. Das brachte alle anderen Passagiere durcheinander, die auf ihre eigenen Koffer warteten.
»Dad!«, brüllte ich. »Tu doch was!«
Auf keinen Fall durfte Mark hinter der Gummiklappe am anderen Ende des Gepäckbandes verschwinden.
»Steh nicht dumm rum, Thomas«, befahl Oma, die ebenfalls die Gefahr jenseits der Gummiklappen erkannt hatte (wobei Mark es bestimmt cool finden würde, durch die Klappe zu fahren).
Doch zum Glück waren Mom und Dad beide schon voll in Aktion. Dad packte Mark und riss ihn vom Gepäckband, während Mom Omas Koffer schnappte, kurz bevor beide hinter der Klappe verschwanden.
»Also, das war ja aufregend«, sagte Oma, als Mom und Dad leicht keuchend zu uns zurückkamen.
Nach zwei Stunden (der Flughafen liegt recht weit von unserer Stadt entfernt) saßen wir alle an einem reservierten Tisch im Roten Hummer . Wir Kinder gaben uns viel Mühe, uns ordentlich zu benehmen. In der letzten Zeit hatte es oft Ärger
gegeben, wenn wir zum Essen gegangen waren. Im Waffel-Restaurant, im Internationalen Pfannkuchenhaus und im China-Restaurant Lung Chung hatten wir Hausverbot. Das lag an den schlechten Manieren meiner Brüder und in einem Fall auch an meinen. Zu meiner Verteidigung muss ich allerdings anbringen, dass ich mich nur schlecht benommen habe, um eine unschuldige Schildkröte zu retten, die jetzt bei Onkel Jay lebt.
Bisher hatten wir im Roten Hummer noch kein Hausverbot. Mom und Dad hatten damit gedroht, ein Fernsehverbot bis zum Gymnasium zu verhängen, sollten wir sie vor Oma blamieren. Außerdem würden wir bis zum Jahr 2042 keinen Nachtisch mehr bekommen. Ich würde kein Kätzchen kriegen, Mark konnte sein Mountainbike vergessen und Kevin müsste sein Piratenkostüm abgeben. Ich fand diese Maßnahmen unverhältnismäßig krass. Mir hätte schon die Drohung gereicht, nie das Handy zu bekommen, das ich mir seit ewigen Zeiten wünschte.
Als wir nach Hause kamen, hatte Oma nur kurz Zeit, ihren Koffer abzuladen und »sich frisch zu machen«. Für eine Besichtigung unseres neuen Hauses reichte es nicht. Das Gästezimmer lag weit ab von dem Bereich, wo wir Kinder schliefen. Mom und Dad hatten uns Kindern eine ganze Etage überlassen, auf der nur unsere drei Kinderzimmer und ein Bad lagen (und der Dachboden, den ich früher für verhext gehalten habe).
In früheren Zeiten wohnten die Dienstmädchen im Gästezimmer. Unser Haus ist so alt, dass es noch zu Zeiten gebaut wurde, als die Menschen Dienstmädchen und Butler hatten, die im Haus wohnten. Das heißt noch lange nicht, dass wir ein schönes Haus haben. Früher sah es vielleicht ganz gut aus, aber über die Jahre haben die Bewohner es verfallen lassen. Dann beschlossen meine Eltern, es zu kaufen und zu renovieren. Sie sind immer noch dabei, aber es dauert. Mit dem Streichen und Tapezieren war Mom fast fertig, aber einige Räume müssen noch gemacht werden.
Omas Zimmer war fertig und sah total hübsch aus. Mom hatte die Wände in einem pinkfarbenen Beige gestrichen – auf der Farbdose stand »Leichtes Erröten« – und einen hübschen pinkfarbenen Teppich auf den Holzboden gelegt. Das Bett ist aus Schmiedeeisen und zu dem Zimmer gehören eine eigene Toilette und ein Badezimmer mit Badewanne und Dusche.
Als Mom Oma fragte, ob sie mit dem Gästezimmer zufrieden war, sagte sie nur: »Es wird schon gehen.« Daraufhin presste Mom ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Im Restaurant bestellte Mom einen »Manhattan«, ein Getränk, das sie sich sonst nur zum Geburtstag gönnt.
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