Frevel: Roman (German Edition)
ich kurz auf und sehe einen Mann über das Gras auf uns zueilen. Sein kurzer Reitumhang weht hinter ihm her. Er fällt atemlos vor Walsingham auf die Knie. Im schwachen silbrigen Licht kann ich unter den Schlammspritzern, die von einem harten Ritt zeugen, das königliche Wappen auf seiner Livree erkennen. Er murmelt etwas von Richmond und einer dringenden Angelegenheit, die keinen Aufschub dulde, dabei ist in seinen aus den Höhlen quellenden Augen nacktes Entsetzen zu lesen. Ich entferne mich diskret, damit die Vertraulichkeit seiner Botschaft gewahrt bliebe, doch Walsingham ruft mich zurück.
»Bruno! Seid so gut und wartet einen Moment auf mich.«
Ich bleibe ein Stück abseits stehen, trete mit den Füßen auf der Stelle und reibe zugleich meine Hände, um die Kälte zu vertreiben, während der Mann sich erhebt und seine Nachricht weiter hervorstammelt. Walsingham beugt sich vor, die Hände hat er noch immer hinter dem Rücken gefaltet. Was auch immer der Bote vom königlichen Hof zu melden hat, es muss wichtig sein, sonst hätte er nicht derart rücksichtslos eine Familienfeier gestört.
Nach einer Weile murmelt Walsingham eine Antwort, der Bote verneigt sich abermals und macht sich in Richtung des Hauses auf. Walsingham hebt eine Hand und winkt mich zu sich.
»Ich werde in einer äußerst ernsten Angelegenheit im Richmond Palace gebraucht, Bruno, und ich möchte, dass Ihr mich begleitet. Wir wollen unauffällig aufbrechen, ohne Aufmerksamkeit auf uns zu lenken – der Bote weist gerade die Diener an, ein Boot bereit zu machen. Auf der Fahrt werde ich Euch dann alles erzählen, was ich weiß.« Seine Stimme klingt gepresst, aber beherrscht. Wenn Ihre Majestät Probleme hat, verlässt sie sich stets darauf, dass Walsingham alles wieder in Ordnung bringt.
»Wird man Euch nicht vermissen?« Ich nicke zum Haus hinüber, und er lacht kurz auf.
»Solange ich meinem Haushofmeister den Schlüssel zum Weinkeller überlasse, bezweifle ich, dass irgendjemand etwas merken wird. Und jetzt kommt.«
Er führt mich um das Haus herum und durch den Garten zu dem kleinen Kai, wo sich tanzende Lichter in dem schwarzen Wasser widerspiegeln. Ich muss mich in Geduld fassen, bis er willens ist, mir die Geschichte des Boten von sich aus zu erzählen.
2
Richmond Palace, Südwestlondon
21. September im Jahr des Herrn 1583
»Ein gewaltsamer Tod, sagt der Mann.« Walsingham muss die Stimme heben, um das Geräusch der Ruder zu übertönen, mit denen der Diener das kleine Boot verbissen gegen die Strömung Richtung Westen lenkt. Der Wind bläst uns Gischt in das Gesicht. Bei Tageslicht hätten wir die Strecke zwischen Barn Elms und dem Richmond Palace zu Pferd in der Hälfte der Zeit zurücklegen können, aber im Dunkeln ist der Fluss der sicherste Weg, obwohl er sich träge um die Landzunge herumwindet.
»Aber er muss von besonderer Bedeutung sein, sonst hätte man Euch nicht von dem Fest weggeholt.« Der Wind weht mir die Worte förmlich von den Lippen.
»Wie es scheint, wurde eine der Hofdamen Ihrer Majestät nur einen Steinwurf von den Privatgemächern der Königin entfernt direkt vor der Nase der Palastwächter getötet – Ihr könnt Euch vorstellen, dass sich der gesamte Hof in heller Aufregung befindet. Aber die Art des Todes ist der Grund dafür, dass Lord Burghley mich so dringend rufen ließ. Nun, bald werden wir mehr wissen.«
Er lehnt sich zurück und deutet auf die vor uns auftauchende weiße Palastfassade, ein blasser Schatten im Mondlicht. Zu beiden Seiten des Torhauses mit den warm erleuchteten Fenstern erheben sich die Kapelle und die große Halle, und von der Gebäudereihe, die an den Fluss grenzt, ragt ein Wald schlanker Türmchen auf, auf denen vergoldete zwiebelförmige Minarette thronen wie bei einem Palast eines Sultans des Ostens. Ein Diener erwartet uns an dem Landesteg hinter dem Palast, wo eine Reihe hölzerner Barken festgemacht ist, die müßig auf dem Wasser dümpeln. Er begrüßt Walsingham mit einer Verbeugung, doch sein Gesicht wirkt angespannt. Dann führt er uns zu einer in die Mauer eingelassenen Seitenpforte. An der Tür stehen zwei mit Piken bewaffnete Männer, die zur Seite treten, um dem Diener den Weg freizugeben. Dieser hämmert gegen die Tür und ruft etwas, woraufhin ein kleines Gitter aufgeschoben wird und ein kurzer Wortwechsel erfolgt, bevor die Tür ganz geöffnet wird und ein kleiner, rundgesichtiger Mann mit weißem Haar unter einer schwarzen Kappe heraustritt, die Arme
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