Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frevel: Roman (German Edition)

Frevel: Roman (German Edition)

Titel: Frevel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Parris
Vom Netzwerk:
Schicklichkeit selbst im Tod noch gewahrt bleibt. Sie wirkt jung, nicht älter als sechzehn oder siebzehn; ihr schlanker Hals weist dunkle Würgemale auf, die Hosen sind zerfetzt, die seidenen Strümpfe schmutzig. Ich blicke von einem meiner Begleiter zum anderen, und mir wird plötzlich bewusst, dass ich zwischen den beiden höchsten Beamten des Kronrats der Königin stehe. Dies ist kein gewöhnlicher Todesfall.
    Walsingham zögert einen Moment, vielleicht aus Respekt, dann schreitet er um das Bett herum und betrachtet die Tote mit so unbeteiligter Sachlichkeit, als wäre er ihr Arzt.
    »Wer ist sie?«
    »Cecily Ashe«, entgegnet Burghley. Er hat die Tür hinter uns geschlossen, ist daneben stehen geblieben und knetet die Hände; vielleicht spürt er, dass wir uns ungehörig verhalten – drei Männer, die die kaum erkaltete Leiche einer jungen Frau anstarren. »Eine der Hofdamen Ihrer Majestät, sie unterstand Lady Seaton. Der Kammerfrau Ihrer Majestät«, fügt er an mich gewandt hinzu.
    »Ah.« Walsingham nickt und legt eine Hand um sein Kinn, sodass sein Mund nicht mehr zu sehen ist. Mir ist aufgefallen, dass er das immer tut, wenn er sich seine Gefühle nicht anmerken lassen will. »Ashe … vermutlich die ältere Tochter von Sir Christopher Ashe aus Nottingham, nicht wahr? Armes Kind … sie war noch nicht einmal ein Jahr am Hof. Genauso alt wie meine Frances.«
    Wir verstummen für eine Weile, unsere Gedanken folgen denen Walsinghams zu seiner siebzehnjährigen Tochter, die vielleicht just in diesem Augenblick von Sir Philip Sidney, einem Mann, der elf Jahre älter als sie und ein notorischer Schwerenöter ist, zu ihrem Ehebett geführt wird.
    »Fast so alt wie meine Elisabeth, als sie starb«, fügt Burghley weich hinzu. Walsingham sieht ihn kurz an. Unausgesprochenes Mitgefühl herrscht zwischen ihnen, als sich ihre Blicke kreuzen, und ich spüre, dass diese beiden Männer etwas verbindet, was über Politik hinausgeht.
    »Die Kleider?«
    »Ach ja.« Burghley schüttelt den Kopf. »Das Übliche, nehme ich an. Sie hat versucht, sich unbemerkt zu einem heimlichen Stelldichein davonzuschleichen.« Bei ihm klingt das, als handele es sich um ein alltägliches Problem.
    »Hat man sich an ihr vergangen?«
    Walsinghams Ton ist wieder barsch geworden. Burghley hüstelt leise.
    »Sie ist noch nicht offiziell vom Arzt untersucht worden, aber der Leichnam wurde mit zerrissenen Hosen und Unterkleidern aufgefunden. Auch das Hemd ist aufgerissen. Ihre Schenkel weisen Blutspuren und blaue Flecken auf. Sie wurde mit ausgebreiteten Armen abgelegt – in Form eines Kreuzes. Und da ist noch etwas, was du sehen solltest.« Burghley holt tief Atem, geht zum Bett hinüber, nimmt eine Ecke des zerrissenen Stoffes so behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger, als könne er sich daran verbrennen, schlägt die linke Seite um und entblößt die kleine, blasse Brust des Mädchens.
    Walsingham und ich schnappen beide zugleich nach Luft. Direkt über dem Herzen prangt ein Zeichen in dem weichen weißen Fleisch. Die Linien sind sorgfältig in die Haut eingeritzt, das Blut ist weggewischt worden, sodass das blutrote Mal gut zu erkennen ist: Es sieht aus wie die geschwungene Zahl Zwei, deren unterer Rand von einer vertikalen Linie geteilt wird. Bei diesem Zeichen handelt es sich eindeutig um das astrologische Symbol für den Planeten Jupiter. Walsingham wirft mir einen fragenden Blick zu, nicht mehr als ein Wimpernzucken, aber Burghleys scharfen Augen entgeht es nicht.
    »Das ist noch nicht alles.« Der Schatzmeister bedeckt das Mädchen wieder. »In jeder Hand hat sie einen dieser Gegenstände hier gehalten.« Von einer hölzernen Frisierkommode neben dem Bett nimmt er einen mit einem goldenen spanischen Kreuz verzierten Rosenkranz aus dunklem Holz und hält ihn hoch, mit der anderen Hand überreicht er Walsingham eine kleine Wachsfigur von der Größe einer Kinderpuppe.
    »Großer Gott!«, keucht Walsingham, dabei hält er die Figur in die Höhe, damit ich sie begutachten kann. Sie ist primitiv gefertigt, aber eindeutig ein Abbild von Königin Elisabeth – Haare aus roter Wolle, ein Umhang aus einem kleinen Stück violetter Seide, eine Papierkrone auf dem Kopf. Aus der Brust ragt eine Nähnadel, die mitten ins Herz gestochen wurde. Wir blicken beide Burghley an, der einmal nickt. In der Tat kein gewöhnlicher Mord.
    »Wer hat sie gefunden?«, breche ich das Schweigen.
    »Der Kaplan der Königin.« Burghley wendet sich von der Leiche

Weitere Kostenlose Bücher