Frevel: Roman (German Edition)
ab.
»Was hatte denn der Kaplan in ihrer Kammer zu suchen?«
»Oh – hier wurde sie nicht gefunden«, erwidert er, die Andeutung mit einem gepressten Lachen quittierend. »Nein, der Leichnam lag draußen im Freien. Hinter dem Obstgarten gibt es eine verfallene Kapelle – die letzten Überreste der Priorei, die früher dort stand. Sie wird durch eine hohe Mauer von dem Palastgelände getrennt, und der Garten ist ziemlich verwildert. Seit einiger Zeit wird gemunkelt …«, Burghley runzelt die Stirn, »… dass er zu einem beliebten Ort für Treffen zwischen den Frauen der Königin und den Höflingen geworden ist, weil er abgelegen liegt und kaum kontrolliert wird. Ihre Majestät hat derartige Dinge streng verboten, versteht Ihr? Und da der Kaplan ein Mann ist, der auf Schicklichkeit und Anstand hält, hat er beschlossen, den Garten bei Anbruch der Dunkelheit zu überprüfen. Und da fand er sie – so daliegend, wie ich es beschrieben habe.«
»Hat er niemanden flüchten sehen, als er näher kam?«, frage ich.
»Er sagt nein, obwohl es vom Fluss her einen offenen Zugang zum Garten gibt. Der Mörder kann sich davongemacht und am Ufer versteckt haben, vielleicht hatte er sogar ein Stück flussabwärts ein Boot festgemacht. Der einzige andere Weg führt vom Obstgarten durch das Torhaus, aber zu dieser Zeit des Abends herrscht dort ein reges Kommen und Gehen, außer dem stehen königliche Leibgardisten am Tor. Aber es wurde ja schon dunkel, und da sie sich als Junge verkleidet hatte …« Burghley fährt sich seufzend mit der Hand über seine Kappe.
»Hast du zusätzliche bewaffnete Wachposten an den Toren postiert?«, erkundigt sich Walsingham.
»Natürlich. Am Kai, an dem ihr angelegt habt, und am vorderen Torhaus gingen ohnehin schon Patrouillen Streife, aber der Hauptmann der Palastgarde hat befohlen, die äußeren Mauern verstärkt zu bemannen, und einen Trupp losgeschickt, um den Obstgarten und den Wildpark zu durchsuchen … im Schutz der Dunkelheit, trotzdem fürchte ich, dass sie wenig Erfolg haben werden. Der Eindringling kann längst über alle Berge sein.«
»Oder sich noch auf dem Palastgelände aufhalten«, gebe ich zu bedenken.
Beide Männer drehen sich zu mir um; Walsingham hebt die Brauen, um mir zu bedeuten, dass ich fortfahren soll.
»Nur sieht es so aus, als hätten wir es keineswegs mit einem Mord im Affekt zu tun. Alles wurde sorgfältig arrangiert, und das Opfer wurde anscheinend auch bewusst ausgewählt – eine Hofdame der Königin. Der Mörder spricht eine unmissverständliche Drohung gegen Ihre Majestät aus und führt uns vor Augen, wie nah er ihr kommen kann. Und wenn das Mädchen für ein Stelldichein gekleidet war, dann wusste der Täter entweder, wann und wo er es finden konnte, oder er war derjenige, auf den es wartete.«
Walsingham neigt den Kopf zur Seite und mustert mich.
»Was Ihr sagt, ergibt einen Sinn, Bruno. Aber wir wollen derartige Vermutungen für uns behalten. Es wird Ihrer Majestät schwerlich gefallen, dass ein Angehöriger ihres eigenen Hofes hinter alldem stecken könnte, und ich muss versuchen, sie zu beruhigen.«
»Im Palast sind schon genug Gerüchte im Umlauf.« Burghley schürzt die Lippen. »Der Kaplan hat einen solchen Lärm geschlagen, als er sie gefunden hat, dass die Hälfte der Dienstboten das Schauspiel schon begafft und alles blumig ausgeschmückt hatte, um es weiterzugeben, bevor mich die Nachricht erreich te. Wir können nicht mehr darauf hoffen, Einzelheiten verschweigen zu können. Die niederen Diener tuscheln schon von Teufelskunst – das Ganze sei das Werk des Antichristen, der gekommen sei, um die Prophezeiung von der Endzeit zu erfüllen.«
»Die Prophezeiung?« Ich blicke verdutzt von einem Mann zum anderen.
Walsingham, dem die Besorgnis in meiner Stimme nicht entgeht, lacht leise.
»Habt Ihr geglaubt, nur Gelehrte wie Ihr und Doktor Dee wüssten von diesen Prophezeiungen? Nein, nein, Bruno – dieses Jahr des Herrn 1583 war in England schon das Hauptgesprächsthema des einfachen Volkes, lange bevor es angebrochen ist. Sogar in den ärmsten Familien gibt es einen Almanach, der die Große Konjunktion von Jupiter und Saturn vorhersagt; die erste seit tausend Jahren, und natürlich all die unheilvollen Folgen: Überschwemmungen, Hungersnöte, Unwetter und Dürren – seit ich denken kann, sind in den Schänken und auf den Marktplätzen Flugblätter im Umlauf, denen zufolge sich die Prophezeiung in diesen Tagen erfüllen wird.«
»Die
Weitere Kostenlose Bücher