Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Frieden auf Erden

Frieden auf Erden

Titel: Frieden auf Erden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
einer Konditorei. Ich mußte ja die Torte kaufen, ich mußte sie auch gleich aufessen, das wurde von mir verlangt, obwohl ich auf Süßes gar keinen Appetit hatte. Dennoch suchte ich wenigstens für eine Weile die quälenden Fragen zu verdrängen, WER denn diesen Appetit nun haben könnte. Niemandem außer mir war es möglich, diese Frage zu beantworten, und ich war dazu nicht fähig.
    Tarantogas Zimmer lag neben dem meinen, ich ging hinüber und gab einen groben Überblick über den Ablauf des Besuchs bei Professor McIntyre. Meine Linke fuhr mir mehrfach dazwischen, sie war unzufrieden, die Torte war mit Lakritze gesüßt, ich kann diese Süßholzwurzel nicht ausstehen, hatte sie aber trotzdem gegessen, weil ich glaubte, es für sie zu tun, bis sich erwies, daß ich und sie – ich und der andere – ich und das andere ich – und leckt mich Fett, wer noch mit wem – alle miteinander den gleichen Geschmack hatten. Begreiflich war das insofern, als die Hand von sich aus nicht essen konnte, Mund, Gaumen und Zunge aber ein Kollektiv bildeten. Mir lag es auf der Brust wie ein alter Gruselfilm – ein Alptraum, und doch zum Lachen, ich schleppe nicht direkt ein unberechenbares Baby, aber wenigstens ein launisches, heimtückisches Kleinkind mit mir herum. Soweit ich mich nämlich der Hypothese von Psychologen erinnerte, verfügen Kinder im Krabbelalter nicht über ein einheitliches Bewußtsein, weil die Nervenbahnen in ihrem Balken noch nicht entwickelt sind.
    Tarantoga störte mich aus diesen Gedanken auf.
    »Ich habe hier einen Brief für dich.« Das war erstaunlich, denn von meinem Aufenthaltsort konnte keine sterbliche Seele eine Ahnung haben. Der Brief war in der Hauptstadt Mexikos aufgegeben, mit Luftpost, ohne Angabe des Absenders. Im Umschlag steckte nur ein kleiner Zettel, mit Maschinenschrift stand darauf:
    er ist von l. a.
    Ich schaute auf die Rückseite – sie war leer. Tarantoga nahm mir das Blatt aus der Hand, richtete einen prüfenden Blick erst auf das Papier, dann auf mich.
    »Was soll das? Verstehst du das?«
    »Nein. Das heißt … l. a. könnte die Lunar Agency sein. Die hat mich entsandt.«
    »Auf den Mond?«
    »Ja, auf diese Erkundung. Nach der Rückkehr sollte ich Bericht erstatten.«
    »Und?«
    »Ich habe es getan, ich habe aufgeschrieben, was ich noch wußte, und es dem Friseur gegeben.«
    »Dem Friseur?«
    »So war es abgesprochen. Ich sollte mich nicht extra hinbemühen. Aber wer ist denn dieser › er ‹? Wahrscheinlich nur McIntyre. Sonst bin ich hier mit niemandem zusammengetroffen.«
    »Warte mal, ich verstehe überhaupt nichts. Was war mit diesem Bericht?«
    »Das darf ich nicht mal Ihnen verraten. Ich habe mich zur Geheimhaltung verpflichtet. Andererseits war da auch nicht viel. Ich habe eine Menge vergessen.«
    »Nach deinem Unfall?«
    »Genau. Aber was machen Sie denn da, Professor?«
    Tarantoga hatte den geöffneten Briefumschlag auf die linke Seite gefaltet. Dort stand mit Bleistift und in Druckbuchstaben:
    verbrenne das. die rechte soll nicht verderben die linke.
    Auch das verstand ich nicht recht, aber es lag doch ein Sinn darin. Plötzlich riß ich die Augen auf und sah Tarantoga an.
    »Ich beginne etwas zu ahnen. Weder hier auf dem Umschlag noch dort auf dem Blatt steht ein einziges Substantiv.«
    »Na und?«
    » Sie versteht am besten Substantive. Wer das abgeschickt hat, wollte mir etwas mitteilen, was sie nicht wissen sollte.«
    Ich legte bei diesen Worten bezeichnend die rechte Hand an die rechte Schläfe. Tarantoga stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Dann blieb er stehen, trommelte mit den Fingern auf den Tisch und sagte: »Wenn das heißen soll, daß McIntyre …«
    »Sagen Sie nichts.«
    Ich zog das Notizbuch aus der Tasche und schrieb auf ein leeres Blatt:
    »Sie versteht besser, wenn sie hört, als wenn sie liest. Wir werden uns eine Zeitlang brieflich verständigen müssen. Mir scheint, daß jemand ahnt oder sogar weiß, daß sie weiß, was ich nicht mehr weiß und deshalb der L. A. nicht berichten konnte. Ich werde ihn weder anrufen noch aufsuchen, denn er ist wahrscheinlich eben dieser ER. Er wollte sich mit ihr verständigen, wie ich das selber tue. Er könnte sie ausquetschen wollen. Bitte schreiben Sie mir sofort zurück.«
    Tarantoga las, zog die Stirn in Falten und nahm wortlos den Schriftwechsel auf.
    »Wozu aber solch ein Umweg, wenn er wirklich von der L. A. ist? Die L. A. hätte sich direkt an dich wenden können. Oder nicht?«
    »Unter

Weitere Kostenlose Bücher