Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)
Mitteilung für den Apotheker schreiben«, sagt Guillotin und klopft dem jüngeren Mann auf die Schulter. »Und jetzt wollen wir ins Haus gehen, mal sehen, ob uns das nette Mädchen Kaffee macht, ja?«
Am Küchentisch sind Jeanne, Lisa Saget und beide Kinder Lisas damit beschäftigt, Gemüse zu putzen. Man holt einen Stuhl für den Arzt, aber er zieht es vor, am Feuer zu stehen. Er ist lebhaft und gut gelaunt. Er sagt Angenehmes und Bewunderndes zu den Frauen und Kindern. Jean-Baptiste erklärt, dass sie nach dem kranken Bergmann gesehen haben. Zwar gehe es ihm heute schlechter, aber der Arzt habe einige Heilmittel verschrieben.
»Natalie«, sagt Lisa und hebt den Kopf in Richtung des Mädchens, »wird sie holen. Wisch dir die Hände ab, Natalie, und zieh dir den Mantel an.«
»Wir können im Haus Platz für ihn schaffen«, sagt Jeanne. »Ich kann ihm im oberen Flur ein Bett richten. Hier wird es ihm bessergehen.«
»Sie kümmern sich schon um das Kochen«, sagt Jean-Baptiste, »und um viele andere Aufgaben.«
»Gute Pflege«, sagt Guillotin, »entscheidet oft darüber, ob ein Patient überlebt oder stirbt.«
»Dann müssen wir es tun«, sagt Jeanne und wendet sich mit großen Augen an Jean-Baptiste.
»Könnte man ihn nicht in ein Hospital bringen?« fragt Jean-Baptiste.
Der Arzt schnaubt verächtlich. »Hospitäler sind sehr gefährliche Orte. Besonders für einen, der schon durch Krankheit geschwächt ist.«
Mit zugeknöpftem Mantel ist Natalie zu ihrem Botengang bereit. In dem Arbeitszimmer, in dem Lecoeur schläft, gibt es Schreibutensilien. Der Arzt setzt eine kleine Liste auf, überliest und unterschreibt sie, faltet das Blatt und gibt es dem Mädchen.
»Ich habe noch etwas für Sie hinzugefügt«, sagt er zu Jean-Baptiste. » Lachryma papaveris . Tränen des Mohns. Das wird Ihnen helfen, Ruhe zu finden. Habe ich die Sache richtig beurteilt?«
»Du gehst zu Monsieur Boustanquoi«, sagt Lisa zu dem Mädchen. »Geradewegs hin und geradewegs zurück.«
Das Mädchen nickt, feixt den Arzt kokett an und geht hinaus.
»Kinder«, schnurrt der Arzt. Er klopft mit dem Finger auf den Deckel des Kaffeetopfs. »Dürfen wir Sie bemühen, Mademoiselle?«
Die geleerte Grube wird gefüllt, die schwarze Erde mit vielen Säcken Ätzkalk vermischt. Der Wind hat aufgefrischt und wirbelt böig zwischen den Friedhofsmauern. Die Kleidung der Männer, ihre Hände und Füße sind fein mit Kalk bestäubt. Augen brennen, Nasen laufen, doch eine Grube aufzufüllen ist angenehmere Arbeit, als sie zu leeren. Und es geht rascher. Am frühen Nachmittag kann in Jean-Baptistes Notizbuch eine saubere Linie durch das erste Armengrab gezogen werden. Das Feuer brennt herunter. Flaschenzug und Beuteltasche, das Holz für die Verschalungen, die Werkzeuge und die Männer selbst, alles wird fünfzehn Schritte nach Süden versetzt. Lecoeur und Jean-Baptiste markieren mit Pflöcken und Seil die Öffnung einer neuen Grube. Jeanne und der Küster werden herausgerufen, um die Lage zu bestätigen. Nachdem der Küster eine Zeitlang nach Art eines Hundes, der einen Schlafplatz sucht, umhergegangen ist, entscheidet er schließlich, dass das Seilgeviert weitere fünf Schritte in Richtung der Südmauer ansetzen muss. Die Pflöcke werden herausgezogen und neu eingeschlagen. Der Küster nickt. Holz für ein neues Feuer wird aufgeschichtet und entzündet. Die zum Graben eingeteilte Gruppe steigt über das Seil; diejenigen, die die Gebeine aufeinanderschichten sollen, stehen bereit. Er setzt erneut ein, der dumpfe Klang von Spaten auf Erde, dann das Geräusch der Knochen, wie sie beim Aneinanderschlagen wie Tontöpfe klingen.
Die Mühsal eines Tages bemisst sich an der Menge starken Alkohols, die gebraucht wird, damit man ihn durchsteht. Heute ist ein Drei-Flaschen-Tag. Eine Flasche pro ausgehobenem Meter. Eine Zehntelflasche pro Mann pro ausgehobenem Meter. Ist das die Gleichung? Es ist jedenfalls keine, die man dem Ingenieur auf der Ecole des Ponts beigebracht hat. Als sie aufgehört und die Männer sich zu ihren Zelten oder zu dem großen wärmenden Feuer beim Predigerkreuz verfügt haben, waschen sich Jean-Baptiste und Lecoeur die Hände in dem Eimer vor der Tür des Küsterhauses.
»Was sie da drin wohl machen?« fragt Lecoeur, während er sich das Wasser von den Fingern schüttelt, und zeigt mit dem Kinn in Richtung der neuen Werkstatt der Ärzte, ein kleines, fensterloses Gebilde aus Zeltleinwand, das an der Kirchenmauer lehnt.
»Das
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