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Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition)

Titel: Friedhof der Unschuldigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Miller
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allzu vorstellbar, dass er an irgend etwas Ansteckendem stirbt, das sich auch die anderen zuziehen könnten, dass die ganze Baustelle binnen einer Woche dichtgemacht wird und der letzte Lebende den letzten Toten in die geleerte Grube wälzt …
    Eine Stunde später findet er einen der Ärzte, Dr. Guillotin, der die Knochenmauer mustert. Er sieht ihn ein Fragment aus der Mauer hebeln und einstecken.
    »Sie haben doch hoffentlich nichts dagegen?« fragt der Arzt, als er den Ingenieur näher kommen sieht. »Ein sonderbar verformter Wirbel. Dachte, ich nehme ihn an mich, ehe Thouret mir zuvorkommt.«
    Jean-Baptiste erzählt ihm von dem Kranken, schildert den Unfall und fragt, ob der Doktor so freundlich wäre, ihn zu untersuchen. »Wenn es etwas Ansteckendes ist … etwas, das vielleicht …«
    Der Arzt erklärt sich einverstanden. Ob der Mann in der Nähe sei? Ja. Gemeinsam gehen sie zu dem Zelt, schlüpfen hinein. Es ist noch jemand da. Der Bergmann mit der verstümmelten Hand. Einen Moment lang hält sein ruhiger Blick die beiden Neuankömmlinge in Schach. Dann geht er stumm und ohne Hast hinaus.
    »Ein merkwürdig aussehender Mensch«, sagt der Arzt. »Violette Augen. Haben Sie es bemerkt? Höchst ungewöhnlich.« Er wendet sich dem Mann auf dem Stroh zu. »Wie heißt er?« fragt er.
    »Das ist Block«, sagt Jean-Baptiste.
    »Block? Guten Morgen, Block. Sie sind gestürzt? Es geht Ihnen schlecht?«
    Jan Block macht ein verschrecktes Gesicht.
    Der Arzt lächelt. »Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben.« Zu Jean-Baptiste sagt er: »Könnten Sie ihn umdrehen? Es ist leichter, den Rücken eines Menschen zu untersuchen, wenn er nicht darauf liegt.«
    Jean-Baptiste fasst den Mann an den Schultern, beginnt ihn umzudrehen. Der Kranke erhebt keine Einwände, doch er zittert. Ihn umzudrehen ist nicht leicht. Als es geschehen ist, sagt der Arzt: »Ziehen Sie sein Hemd hoch.«
    Die Haut von Jan Blocks oberer Rückenpartie weist zu beiden Seiten der Wirbelsäule Einstiche auf, die zwar klein, aber von roten Entzündungsrändern umgeben sind.
    Guillotin tritt näher. Er sieht hin, doch wie den meisten seiner Profession widerstrebt es ihm, den Patienten zu berühren. Er nickt. »Sie können ihm das Hemd wieder herunterziehen. Danke, Monsieur Block. Wir werden etwas finden, was Ihnen hilft, ja?«
    Als sie sich ein paar Schritte vom Zelt entfernt haben, sagt der Arzt: »Er hat sich bei dem Sturz mit irgend etwas vergiftet. Die Wunden müssen sofort mit Schwefellösung gereinigt werden. Was das Fieber angeht, sollte er pulverisierte peruanische Rinde, aufgelöst in etwas Branntwein, einnehmen. Ich bin allerdings nicht dafür, das Fieber gänzlich zu unterdrücken. Das Fieber ist nicht der Feind. Es ist das Feuer, in dem die Krankheit verbrannt wird.« Er bleibt stehen und fasst Jean-Baptiste genauer ins Auge. »Auch bei vollkommener Gesundheit«, sagt er, »erneuern wir uns fortwährend in selbsterzeugter Wärme. Sind Sie mit der Theorie des Phlogiston vertraut?«
    »Ich weiß ein wenig davon.«
    »Phlogiston, aus dem Griechischen, von phlogistos , verbrannt. Das brennbare Element in allen Dingen. Das latente Feuer. Das potentielle Feuer. Passiv, bis es geweckt wird.«
    »Durch einen Funken?«
    »Oder durch Schock oder Reibung. Oder schlicht durch die allmähliche Zunahme von Wärme.«
    »Ist es möglich«, fragt Jean-Baptiste, »dass Blocks Entzündung von einer Krankheit herrührt, die in den Gebeinen überdauert hat? Dass in den Knochen immer noch ein Überbleibsel der Krankheiten vorhanden ist, an denen sie einmal gelitten haben? Will sagen, an denen diejenigen gelitten haben, denen sie einmal gehörten?«
    »Wie eigenartig Sie das ausdrücken«, sagt Guillotin. »Sie reden, als wären unsere Gebeine bloße Besitztümer, wie ein Pferd oder eine Uhr. Doch um Ihre Frage zu beantworten, ich halte es für unwahrscheinlich, dass irgendeine Krankheit ihr Opfer so lange überdauern könnte. Ich empfehle jedoch nicht, dass Sie oder Ihre Männer die Gebeine mit offenen Wunden in Berührung kommen lassen. Ich empfehle Essig als allgemeines Desinfektionsmittel. Und gereinigten Alkohol. Äthanol. Sehr wirkungsvoll. Achten Sie aber darauf, wo Sie ihn lagern. Er ist ein starkes Rauschmittel. Außerdem leicht entzündlich. Selbst die Dämpfe. Besonders die Dämpfe.«
    »Und wo bekomme ich das her? Äthanol?«
    »Soll ich Ihnen welchen besorgen?«
    »Ich wäre Ihnen sehr verbunden. Und den Schwefel und die Rinde?«
    »Ich werde Ihnen eine

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