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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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einfach, beinahe ein Witz«, erinnerte sich Constance. Doch sie lachte nicht; ihr Gesicht war aschgrau. »Der Friedhof, das Bestattungsunternehmen und die Kirche für dringende Beerdigungen, das verlassene Gelände, der Pfad. Und Emily? Zum Teufel! Sie war schon lange vorausgegangen, jedenfalls im Geiste. Ich mußte sie nur noch ein wenig dirigieren.«
    »Noch etwas, Constance«, hakte Crumley nach. »Ist Emily Sloane heute noch am Leben?«
    Constance drehte sich langsam um, eine Einstellung nach der anderen, wie eine Puppe in einem Stop-Motion-Film. Es dauerte zehn Sekunden, bis sie, wie bei einer Einzelbildschaltung, ihr Gesicht zu uns gedreht hatte und mit Augen, die auf einen anderen Brennpunkt eingestellt waren, durch mich hindurchschaute.
    »Wann hast du zum letzten Mal einer Marmorfigur Blumen gebracht?« fragte ich. »Einer Statue, die weder die Blumen noch dich wahrnimmt, sondern tief drinnen im Marmor, in der Stille lebt; wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
    Aus Constance Rattigans rechtem Auge rollte eine einzelne Träne.
    »Ich habe sie jede Woche besucht. Immer hoffte ich, sie würde einfach wie ein Eisberg wieder aus dem Wasser auftauchen und auftauen. Doch schließlich konnte ich dieses Schweigen nicht mehr ertragen, auch daß mir nie jemand dankte. Sie gab mir das Gefühl, ich sei selbst schon tot.«
    Einzelbild für Einzelbild ruckte ihr Kopf wieder in die andere Richtung, um in das vergangene Jahr oder eines der Jahre davor zurückzublicken.
    »Ich finde«, sagte Crumley, »es ist an der Zeit, ein paar frische Blumen hinzubringen. Einverstanden?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Doch. Wie wäre es mit … dem Hollyhock House?«
    Da sprang Constance Rattigan rasch auf, schaute aufs Meer hinaus, sprintete in die Brandung und tauchte unter.
    »Nein, laß das!« brüllte ich hinterher.
    Ich hatte plötzlich Angst. Auch einen hervorragenden Schwimmer konnte das Meer verschlingen und nie mehr zurückgeben.
    Ich rannte los und war gerade dabei, mir die Schuhe von den Füßen zu reißen, als Constance wie eine prustende Seerobbe aus den Wellen auftauchte, sich wie ein Hund schüttelte und an Land watete. Kaum war sie auf dem harten, nassen Strandstreifen in der Brandung angelangt, übergab sie sich. Es sprang ihr aus dem Mund wie ein Korken. Dann stand sie mit den Händen in die Hüften gestemmt da und betrachtete sich das Zeug, das langsam von der Strömung weggeschwemmt wurde.
    »Verdammt noch mal«, sagte sie. »Dieser Kloß muß all die Jahre schon da drin gesteckt haben!«
    Sie drehte sich um und musterte mich von oben bis unten. Ihr Gesicht bekam wieder etwas Farbe. Sie schnippte mit den Fingern einige Spritzer Salzwasser zu mir hinüber, als wolle sie mich erfrischen.
    Ich zeigte auf den Ozean: »Hilft dir ein Bad im Meer denn immer?«
    »Wenn es eines Tages nicht mehr klappt, dann bleibe ich einfach drin«, antwortete sie ruhig.
    »Ein kurzes Bad, ein Quicky hilft immer. Arbuthnot oder Sloane kann ich nicht mehr helfen, die sind tot und verrottet. Und Emily Wickes …«
    Sie erstarrte und korrigierte sich: »Emily Sloane.«
    »Ist Wickes ihr neuer Name, seit zwanzig Jahren, im Hollyhock House?« erkundigte sich Crumley.
    »Jetzt, wo der Kloß weg ist, muß ich mit etwas Champagner nachspülen. Los, kommt!«
    An ihrem blaugekachelten Pool angelangt, öffnete sie eine Flasche und füllte unsere Gläser.
    »Seid ihr wirklich so verrückt, daß ihr Emily Wickes Sloane, tot oder lebendig, nach all der Zeit noch retten wollt?«
    »Wer sollte uns daran hindern?« antwortete Crumley.
    »Das ganze Studio! Nein, vielleicht die drei Leute, die wissen, daß sie dort ist. Ihr braucht jemanden, der euch da einschleust. Niemand betritt Hollyhock House ohne Constance Rattigan. Schaut nicht so böse. Ich helfe euch ja.«
    Crumley trank seinen Champagner und sagte: »Noch etwas. Wer hat in jener Nacht, damals vor zwanzig Jahren, das Kommando übernommen? Es muß doch sehr schwer gewesen sein. Wer …?«
    »Wer Regie geführt hat? Es mußte dringend jemand Regie führen. Die Leute rannten sich gegenseitig über den Haufen und brüllten durcheinander. Es war Schuld und Sühne, Krieg und Frieden. Jemand mußte laut schreien: nicht da lang, dort lang! Mitten in der Nacht, mit all den Schreien und dem Blut, rettete er, Gott sei Dank, die ganze Szene, die Schauspieler, das Studio; und das alles ohne Film in der Kamera. Der größte lebende deutsche Regisseur.«
    »Fritz Wong!?« platzte ich heraus.
    »Fritz«, sagte

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