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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Constance Rattigan, »Wong.«
     

65
     
    Von Fritzens Adlerhorst aus, auf halbem Weg zwischen dem Beverly Hills Hotel und Mulholland gelegen, hatte man einen Blick auf die zehn Millionen Lichter von Los Angeles, die einem wie ein riesiger Teppich zu Füßen lagen. Von der großen, eleganten Marmorveranda vor seiner Villa konnte man die Düsenflugzeuge beobachten, die in dreißig Kilometer Entfernung zur Landung ansetzten, leuchtende Fackeln, träge Meteore am Firmament, jede Minute.
    Fritz Wong riß die Haustür auf und blinzelte; er tat so, als sehe er mich nicht.
    Ich holte das Monokel hervor. Er riß es mir aus der Hand und ließ es in seiner Brusttasche verschwinden.
    »Arroganter Hundesohn.« Das Monokel blitzte vor seinem rechten Auge wie die Schneide einer Guillotine. »Also du bist es! Der Mann der Zukunft erscheint, um den schon bald Dahinscheidenden auszuhorchen. Der neue König wirft den einstigen Prinzen vom Thron. Der Autor, der den Löwen sagt, was sie Daniel zu erzählen haben, besucht den Bändiger, der ihnen erzählt, was sie zu tun haben. Was suchst du hier? Der Film ist futsch!«
    »Hier sind die fehlenden Seiten.« Ich trat ein. »Maggie? Ist alles in Ordnung?«
    Maggie nickte mir vom anderen Ende des Salons aus zu. Sie war blaß, aber offensichtlich wieder auf dem Damm.
    »Hör nicht auf Fritz«, sagte sie. »Er spielt die beleidigte Leberwurst.«
    »Setz dich neben die Filmschneiderin und dann Ruhe«, sagte Fritz, dessen Monokel Löcher in mein Manuskript brannte.
    »Jawohl …« Mein Blick fiel auf eine Aufnahme von Hitler, die an der Wand hing, und ich knallte die Hacken zusammen: »Jawohl – Sir!«
    Fritz blickte verärgert auf. »Blödmann! Das Bild von dem durchgedrehten Anstreicher hängt dort, damit ich stets an die großen Schweinehunde erinnert werde, vor denen ich geflohen bin, um bei den kleinen zu landen. Mein Gott, die Fassade von Maximus Films ist nur eine Kopie des Brandenburger Tors! Nimm Platz !«
    Ich nahm Platz, und mir blieb vor Staunen der Mund offen.
    Direkt hinter Maggie Botwin befand sich der unglaublichste Schrein, den ich je gesehen hatte. Er war strahlender, größer, wundervoller als der Altar aus Silber und Gold in der St. Sebastianskirche.
    »Fritz«, rief ich aus.
    Der überwältigende Schrein enthielt Regalbretter voller Karaffen mit Brandies, Creme de Menthe, Whiskey, Cognac, Portwein, Burgunder und Bordeaux. Es leuchtete wie in einer unterseeischen Grotte, aus der jeden Moment Schwärme von luminiszierenden Flaschen hervorschwimmen könnten. Rings umher hingen Hunderte und Aberhunderte edelster Gläser und Karaffen aus geschliffenem Schwedenkristall, Lalique und Waterford. Es war ein festlicher Thron, die Geburtsstätte Ludwigs des Vierzehnten, das Grab eines ägyptischen Sonnenkönigs, Napoleons hochherrschaftlicher Krönungssaal. Es war das Schaufenster eines Spielwarenladens am Weihnachtsabend um Mitternacht. Es war …
    »Wie Sie wissen«, sagte ich, »trinke ich nur selten …«
    Fritz fiel das Monokel aus dem Auge. Er fing es auf und setzte es wieder ein.
    »Was trinkst du?« bellte er.
    Ich entging seiner Verachtung, indem ich mich an einen Wein erinnerte, den er einmal erwähnt hatte.
    »Corton«, sagte ich, »einen 38er.«
    »Glaubst du allen Ernstes, daß ich meinen besten Wein für jemanden wie dich aufmache?«
    Ich schluckte fest und nickte.
    Er wandte sich mir zu und fuhr mit der Faust Richtung Zimmerdecke, als wolle er mich mit einem Schlag in den Boden rammen. Dann landete seine Faust sanft auf einer Vitrine, und er holte eine Flasche hervor.
    Corton, Jahrgang 1938.
    Er setzte den Korkenzieher an, knirschte mit den Zähnen und ließ mich nicht aus den Augen. »Ich beobachte jeden Schluck«, brummte er. »Wenn ich etwas bemerke, wenn ich das klitzekleinste Anzeichen dafür entdecke, daß du es nicht zu schätzen weißt … ssst!«
    Er zog den Korken auf vollendete Weise heraus, stellte die Flasche erst einmal wieder ab und holte tief Luft.
    »Und jetzt«, seufzte er, »wo der Film doppelt tot ist, wollen wir mal sehen, was unser Wunderkind fabriziert hat!« Er ließ sich in einen Sessel fallen und blätterte meine neuen Seiten durch. »Ich will deinen unerträglichen Text lesen, auch wenn wir nicht den geringsten Anlaß haben, so zu tun, als würden wir jemals wieder ins Schlachthaus zurückkehren. Weiß der Himmel!« Er machte das linke Auge zu und ließ das rechte hinter dem funkelnden Glas über die Zeilen huschen. Als er fertig war, warf er

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