Friedhof für Verrückte
Botwin rutschte niedergeschlagen in der Dunkelheit auf ihrem Sessel herum und packte ihre Handkamera aus.
Ich räusperte mich. »Muß mein Text wirklich sämtliche Lücken in diesem Drehbuch zudecken?«
»Cäsars Arsch bemänteln? Jawohl!« Fritz Wong lachte und goß neue Drinks ein.
Maggie Botwin fügte hinzu: »Außerdem schicken wir sie zu Manny Leiber, um den Judas mit ihm auszudiskutieren.«
»Warum denn das!!?«
»Vielleicht mundet dem jüdischen Löwen der Baptist aus Illinois«, erklärte Fritz. »Vielleicht hört er sogar zu, während er sie zerfleischt.«
Ich kippte meinen zweiten Drink.
»Holla«, schluckte ich, »gar nicht mal so übel.«
Ein Surren drang an mein Ohr.
Maggie Botwins Kamera konzentrierte sich darauf, den Moment meiner einsetzenden Trunksucht festzuhalten.
»Nehmen Sie Ihre Kamera überall mit hin?«
»Ja«, sagte sie. »In den vergangenen vierzig Jahren ist kein einziger Tag vergangen, an dem ich nicht die Mächtigen mit heruntergelassenen Hosen erwischt hätte. Sie trauen sich nicht, mich rauszuschmeißen. Ich würde neun Stunden Material zusammenkleben und sämtliche Idioten exklusiv im Grauman’s Chinese Theater Revue passieren lassen. Neugierig? Kommen Sie mal vorbei und schauen Sie sich’s an.«
Fritz füllte mein Glas erneut.
»Alles bereit zur Nahaufnahme.« Ich trank.
Die Kamera surrte.
32
Manny Leiber saß auf der Ecke seines Schreibtischs und guillotinierte eine Zigarre mit einem dieser goldenen Einhundert-Dollar-Zigarrenschneidern von Dunhill. Er setzte eine mürrische Miene auf, als ich eintrat und im Büro herumlief, ohne mich für eines der niedrigen Sofas entscheiden zu können.
»Ist was?«
»Diese Sofas«, sagte ich, »sind so niedrig, daß man nicht mehr hochkommt.« Ich ließ mich in eins hineinfallen. Ich saß etwa dreißig Zentimeter über dem Fußboden und blickte zu Manny Leiber, der wie Cäsar über mir thronte, die Welt zu seinen Füßen.
Ich stand ächzend wieder auf und machte mich auf die Suche nach Kissen. Ich stapelte drei davon übereinander und setzte mich darauf.
»Was zum Henker tust du da?« Manny kam von der Schreibtischkante herunter.
»Ich möchte Ihnen in die Augen sehen können, wenn ich mich mit Ihnen unterhalte. Ich hasse es, mir da unten wie auf dem Rasiersitz schier den Hals zu brechen.«
Manny Leiber schäumte innerlich. Er biß in seine Zigarre und erklomm wieder seine Schreibtischecke. »Also was?« blaffte er.
»Fritz hat mir eben den Rohschnitt des Films gezeigt. Judas Ischariot fehlt. Wer hat ihn umgebracht?«
»Was?!«
»Jesus Christus ohne einen Judas, das geht nicht. Wieso ist Judas plötzlich zum unsichtbaren Jünger geworden?«
Zum ersten Mal sah ich, wie Manny Leiber mit seinem kleinen Hintern nervös auf der Schreibtischplatte herumrutschte. Er saugte an seiner kalten Zigarre, warf mir einen blitzenden Blick zu, und dann legte er los: »Ich habe veranlaßt, daß Judas herausgeschnitten wird! Ich will keinen antisemitischen Film produzieren!«
»Was!« explodierte ich und sprang auf die Füße. »Dieser Film soll nächstes Jahr zu Ostern in die Kinos kommen, wenn ich recht informiert bin. In dieser Woche werden ihn eine Million Baptisten anschauen. Plus zwei Millionen Lutheraner?«
»Mit Sicherheit.«
»Zehn Millionen Katholiken?«
»Aber klar!«
»Zwei Unitaristen?«
»Zwei –?«
»Wenn die alle am Ostersonntag ankommen und fragen: ›Wer hat Judas Ischariot aus dem Film genommen?‹ wie sieht es dann aus, wenn die Antwort lautet: Manny Leiber?«
Schweigen. Manny Leiber warf seine kalte Zigarre auf den Boden. Als seine Hand zum weißen Telefon kroch, wäre ich beinahe zur Salzsäure erstarrt.
Er wählte drei Nummern, Studiokurzwahl, wartete einen Moment und sagte dann: »Bill?«
Er atmete tief durch: »Judas Ischariot steht wieder auf der Gehaltsliste.«
Haßerfüllt beobachtete er mich dabei, wie ich die drei Kissen wieder auf drei Lehnstühle verteilte. »War das alles, worüber Sie sprechen wollten?«
»Momentan schon.« Ich drehte den Türknopf.
»Haben Sie etwas von Ihrem Freund Roy Holdstrom gehört?« erkundigte er sich plötzlich.
»Ich dachte, Sie wüßten Bescheid!«
Vorsichtig, dachte ich bei mir.
»Der Narr ist einfach abgehauen«, schob ich schnell nach. »Hat seine ganze Wohnung ausgeräumt und die Stadt verlassen. So ein blöder Kerl; der ist nicht mehr mein Freund. Er und das verdammte Lehmmonster, das er da gebaut hat!«
Manny Leiber musterte mich eingehend. »Ein
Weitere Kostenlose Bücher