Friedhof für Verrückte
Alle Bäume in der Nachbarschaft drehten sich im Schlaf um.
Crumley sah mich scharf an. »Ich spüre, daß da etwas kommt.«
Es kam.
»Das Brown Derby«, sagte ich verdattert. »Herrje, wieso habe ich nicht früher daran gedacht? Die Nacht, in der Clarence vor Angst davongerannt ist. Er ließ seine Mappe fallen und ließ sie einfach vor dem Eingang des Brown Derby liegen! Jemand muß sie aufgehoben haben. Vielleicht ist sie noch dort und wartet darauf, daß sich Clarence beruhigt und vorbeikommt, um sie abzuholen. Seine Adresse muß irgendwo vermerkt sein.«
»Eine gute Spur«, nickte Crumley. »Ich werde sie verfolgen.«
Erneut hauchte der Nachtwind sein melancholisches Seufzen durch die Orangen- und Zitronenbäume.
»Und …«
»Und?«
»Noch einmal zum Brown Derby. Auch wenn der Oberkellner nicht mit uns redet, so kenne ich jemanden, der dort jahrelang einmal die Woche dinierte, als ich noch ein Kind war …«
»Ach du Schreck«, stöhnte Crumley. »Rattigan. Die frißt dich bei lebendigem Leib.«
»Meine Verehrung für sie wird mich beschützen.«
»O Gott, steck diesen Mist in einen Sack, und wir düngen damit das ganze San Fernando Valley.«
»Freundschaft schützt. Du würdest mich doch nicht verletzen, oder?«
»Verlaß dich da mal nicht drauf.«
»Wir müssen etwas unternehmen. Roy versteckt sich. Wenn die, wer immer das sein mag, ihn finden, dann ist er ein toter Mann.«
»Du auch«, sagte Crumley, »wenn du weiterhin den Amateurdetektiv spielst. Es ist schon spät. Mitternacht.«
»Da wacht Constance normalerweise auf.«
»Transsylvanische Zeitrechnung? Herrje.« Crumley atmete tief durch. »Soll ich dich fahren?«
Von einem verborgenen Baum fiel ein einzelner Pfirsich mit dumpfem Schlag auf die Erde.
»Ja!« sagte ich.
34
»Falls du im Morgengrauen aus dem letzten Loch pfeifst«, sagte Crumley, »ruf mich bitte nicht an.«
Wir fuhren los.
Das Haus von Constance war seit eh und je die Perfektion selbst, ein weißer Schrein, der sich leuchtend gegen den Küstenstreifen abhob. Sämtliche Türen und Fenster standen weit offen. In dem blendend weiß gehaltenen Wohnzimmer spielte Musik, alte Melodien von Benny Goodman.
Ich lief am Strand entlang und spähte in die Wellen hinaus, so wie schon in tausend Nächten zuvor. Sie war dort draußen, schwamm mit den Tümmlern um die Wette und spielte mit den Seehunden.
Ich schaute in den Salon, der mit vier Dutzend zirkusbunten Kissen drapiert war, und auf die nackten weißen Wände, wo spät in der Nacht die Schattenspiele stattfanden, ihre alten Filme, aus der Zeit, bevor ich geboren wurde.
Ich drehte mich um, denn eine ungewöhnlich große Welle hatte sich am Strand gebrochen …
… und aus ihr entstieg, wie aus dem wertvollen Teppich, den man vor Cäsars Füßen auswarf …
Constance Rattigan.
Braun und glänzend wie ein Seehund kam sie aus der Brandung gesprungen, das Haar vom Wasser gekämmt. Ihr kleiner Körper war mit Muskatnuß gepudert und in Zimtöl gebadet. In ihren munteren Beinen und flinken Armen, den Handgelenken und Händen hatten sich sämtliche Schattierungen des Alters eingenistet. Ihre Augen waren so braun wie die eines quicklebendigen, schlauen, klugen Tierchens. Ihr lachender Mund sah aus, als wäre er mit Walnußöl getränkt. Sie sah aus wie eine übermütige Novembersurferin, dem kalten Meer entstiegen, doch so heiß wie geröstete Kastanien, wollte man sie anfassen.
»Du Strolch«, rief sie. »Du bist es!«
»Tochter des Nils! Du!«
Sie schmiegte sich an mich wie ein Hund, der die Nässe an jemand anderem abstreifen wollte, packte mich bei den Ohren, küßte mich auf Brauen, Nase und Mund und drehte sich dann im Kreis, um sich rundum zu präsentieren.
»Ich bin nackt, wie gewöhnlich.«
»Habe ich bemerkt, Constance.«
»Du hast dich nicht verändert: schaust noch immer auf meine Augenbrauen, anstatt auf meine Brüste.«
»Du hast dich nicht verändert. Deine Brüste sehen stramm aus.«
»Nicht schlecht für eine sechsundfünfzigjährige ehemalige Filmkönigin, die des Nachts im Meer herumschwimmt, was? Los, komm!«
Sie rannte den Strand hinauf. Als ich bei ihrem Swimmingpool ankam, hatte sie schon Käse, Cracker und Champagner herausgebracht.
»Große Güte.« Sie machte die Flasche auf. »Es muß schon hundert Jahre her sein. Aber ich wußte, daß du eines schönen Tages zurückkommen würdest. Hast du die Nase voll vom Heiraten? Zeit für eine Geliebte?«
»Nein, danke.«
Wir hoben die
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