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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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dann nicht mehr so schreien.
    »Paß mal auf«, sagte ich. »Seit gestern ist dieses Haus bewohnt. Ich habe Abfall gesehen, den weder Roy noch ich hinterlassen haben, als wir hier arbeiteten.« Ich öffnete die Tür des Minikühlschranks. »Schokoladenriegel. Wer sonst legt Schokolade in den Kühlschrank?«
    »Du!« schnaubte Crumley.
    Ich mußte lachen und machte die Kühlschranktür wieder zu.
    »Ja, du hast recht, ich. Aber er sagte, er wolle sich verstecken. Vielleicht, vielleicht hat er es getan. Was meinst du?«
    »Na gut!« Crumley ging Richtung Tür. »Wonach soll ich Ausschau halten?«
    »Nach einem ungelenken, einsfünfundachtzig großen Schreikranich mit langen Armen und langen, knochigen Fingern, einer großen Habichtsnase, mit Ansatz zur Glatze und mit Krawatten, die nicht zu seinen Hemden passen, und Hemden, die nicht zu seinen Hosen passen, und –« Ich konnte nicht weitersprechen.
    »Tut mir leid, daß ich gefragt habe.« Crumley reichte mir ein Taschentuch. »Schneuz dich.«
     

30
     
    Eine Minute späte jagte ich aus dem ländlichen Nord-Illinois und dem Haus meiner Großeltern davon.
    Unterwegs kam ich am Atelier 13 vorbei. Es war dreifach verriegelt und versiegelt. Wie ich so dastand, stellte ich mir vor, was es für Roy bedeutet haben mußte, sein Leben, sein ganzes Dasein von den Händen eines Wahnsinnigen zerstört vorzufinden.
    Roy, dachte ich, komm zurück, bau noch mehr von deinen wundervollen Ungeheuern, lebe bis in alle Ewigkeit.
    Genau in diesem Augenblick kam eine Phalanx römischer Soldaten im Laufschritt an mir vorüber, links-rechts, links-rechts, links-rechts. Die Männer lachten. Sie zogen rasch vorbei, ein glitzernder Fluß goldener Helme mit roten Federkämmen. Niemals sah Cäsars Leibwache besser aus, niemals hatte sie sich eiliger bewegt. Mein Auge verfing sich im Anblick eines Mannes in der letzten Reihe. Seine langen Beine stakten linkisch. Seine Ellbogen flatterten, und etwas, das wie ein Habichtsschnabel aussah, pflügte sich durch den Wind. Ein unterdrückter Schrei entrang sich meiner Kehle.
    Der Trupp verschwand hinter einer Ecke.
    Ich rannte ihnen bis zur Kreuzung hinterher.
    Roy? dachte ich. Doch schließlich konnte ich nicht einfach losbrüllen und den Leuten verraten, daß sich in ihren Reihen ein Idiot versteckt hielt.
    »Verdammter Narr«, sagte ich schwach. »So was Blödes«, murmelte ich auf dem Weg zur Kantine vor mich hin.
    »Dummkopf«, sagte ich zu Fritz, der vor sechs Tassen Kaffee an dem Tisch saß, an dem er seine Konferenzen abhielt.
    »Genug der Schmeicheleien!« schrie er. »Hinsetzen! Unser erstes Problem besteht darin, daß Judas Ischariot aus dem Film herausgeschnitten wird!«
    »Judas! Haben sie ihn gefeuert?«
    »Das letzte, was ich von ihm hörte, war, daß er unten in La Jolla betrunken drachenfliegt.«
    »Gott im Himmel.«
    Und dann explodierte ich. Wie ein riesiges Erdbeben barst die Heiterkeit aus meinen Lungen heraus.
    Ich sah Judas als Drachenflieger durch die salzigen Brisen gleiten, ich sah Roy in der römischen Phalanx laufen, sah mich selbst durchnäßt an der Mauer stehen, als die Leiche herunterfiel, und dann wieder Judas, hoch über La Jolla, windtrunken, schwebend.
    Mein bellendes Gelächter alarmierte Fritz. Er dachte, ich hätte mich an meinen hysterischen Rülpsern verschluckt, und klopfte mir auf den Rücken.
    »Was ist denn los?«
    »Nichts«, schnaufte ich. »Alles!«
    Mein letzter Aufschrei verebbte.
    Christus persönlich war erschienen, im rauschenden Gewand.
    »Oh, Herodes Antipas«, sagte er zu Fritz. »Du riefst mich zur Verhandlung?«
    Der Schauspieler, so schmal wie ein El-Greco-Christus, seine bleiche Erscheinung, von dem gleichen schwefelgelben Licht umgeben, dem gleichen Gewölk, ließ sich langsam nieder, ohne überhaupt zu wissen, ob ein Stuhl da war. Er vertraute auf Gott und setzte sich. Als sein stoffloser Körper mit dem Stuhl in Berührung kam, lächelte der Schauspieler vor Stolz, sein Ziel so akkurat getroffen zu haben.
    Sofort stellte eine Kellnerin einen kleinen Teller mit Lachs ohne Soße und eine Karaffe mit Rotwein vor ihn hin.
    J. C. kaute mit geschlossenen Augen an einem Bissen Fisch.
    »Mein alter Regisseur, mein neuer Autor«, sagte er schließlich. »Ihr habt mich gerufen, um über die Bibel zu reden? Fragt nur. Ich weiß alles .«
    »Gott sei Dank, wenigstens einer«, sagte Fritz. »Der Großteil unseres Films wurde in Übersee gedreht, von einem hyperaufgeblasenen Regisseur, der ihn nicht mal

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