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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Tasche.
    Constance starrte auf die Stelle des Tischtuchs, wo das Foto eben noch gelegen hatte. »Ich bin hierhergekommen, um herauszufinden, ob ich den Mann kenne. Gott sei Dank ist das nicht der Fall. Aber seine Stimme? Vielleicht an einem anderen Abend …?«
    Ricardo schnaubte. »Nein, nein. Das ist ein für allemal vorbei. Dieser verrückte Fan in jener Nacht. Der einzige Zwischenfall in all den Jahren. Normalerweise ist die Straße zu dieser späten Stunde völlig leer. Von nun an, da bin ich sicher, wird er nicht mehr wiederkommen. Und ich muß mich nach einem kleineren Apartment umsehen. Entschuldigen Sie meinen Egoismus. Es ist nicht einfach, Trinkgelder von zweihundert Dollar in den Wind zu schreiben.«
    Constance putzte sich die Nase, stand auf, packte Lopez’ Hand und drückte etwas hinein. »Wehr dich nicht!« sagte sie. »1928 war ein fantastisches Jahr. Es ist an der Zeit, daß ich meinen herrlichen Gigolo bezahle. So nimm’s doch!« Er versuchte, ihr das Geld zurückzugeben. »Du Schurke!«
    Ricardo schüttelte den Kopf und legte ihre Hand an seine Wange.
    »La Jolla, das Meer und das gute Wetter.«
    »Wellenreiten jeden Tag!«
    Ricardo küßte jeden einzelnen ihrer Finger.
    »Richtig gut schmeckt es erst vom Ellbogen an aufwärts«, sagte Constance.
    Ricardo stieß ein kehliges Lachen aus. Constance boxte ihn spielerisch und rannte davon. Ich wartete, bis sie zur Tür hinaus war.
    Dann drehte ich mich um und sah in die Nische mit der kleinen Lampe hinüber, dem Pult und dem Aktenschrank.
    Lopez merkte, wohin ich schaute, und drehte sich ebenfalls um.
    Doch Clarences Mappe war weg, irgendwo in der Nacht draußen hatten die falschen Leute sie.
    Wer wird Clarence nun beschützen, fragte ich mich. Wer wird ihn vor der Dunkelheit bewahren und ihn bis zum Morgen am Leben erhalten?
    Etwa ich? Der kleine Simpel, den sogar seine Cousine beim Armdrücken besiegt hatte?
    Crumley? Durfte ich es wagen, ihn darum zu bitten, die ganze Nacht vor Clarences Reihenbungalow auszuharren? Sollte ich mich vor seine Tür stellen und rufen: »Du bist verloren! Lauf!«
    Ich rief Crumley nicht an. Ich stellte mich nicht vor Clarence Sopwiths Tür. Ich nickte Ricardo Lopez zum Abschied zu und ging in die Nacht hinaus. Draußen stand Constance und weinte. »Nichts wie weg von hier«, sagte sie.
    Sie wischte sich die Augen mit einem seidenen Taschentuch, das hier fehl am Platze war. »Dieser blöde Ricardo. Ich fühle mich richtig alt. Und dann dieses verdammte Foto von dem armen, hilflosen Mann.«
    »Ja, das Gesicht«, sagte ich und fügte hinzu: »… Sopwith.« Denn Constance stand genau an der Stelle, an der einige Nächte zuvor Clarence Sopwith gestanden hatte.
    »Sopwith?« fragte sie.
     

39
     
    Constance schrie gegen den Fahrtwind an: »Das Leben ist wie Unterwäsche. Man sollte es zweimal am Tag wechseln. Zum Teufel mit dieser Nacht, ich will sie vergessen.«
    Sie schüttelte die Tränen aus den Augen und drehte sich zur Seite, um zuzuschauen, wie sie davonflogen.
    »Ich vergesse sie, und fertig. Sie ist aus meinem Gedächtnis gestrichen. Siehst du, es ist ganz einfach?«
    »Nein.«
    »Erinnerst du dich noch an die Mamacitas im obersten Stock des Wohnblocks, wo du vor einigen Jahren gelebt hast? Wie sie nach jedem samstäglichen Riesengelage ihre neuen Kleider vom Dach herunterwarfen, nur um allen zu zeigen, wie reich sie sind, daß es ihnen nichts ausmacht, sich am nächsten Morgen neue zu kaufen. Was für eine großartige Lüge. Runter mit den Kleidern, weg damit, und dann standen sie mit ihren fetten oder dürren Ärschen um drei Uhr in der Früh auf dem Dach und schauten sich den Garten voll Kleider an. Wie Seidenblütenblätter, die der Wind in die verwaisten Hinterhöfe und Gassen wehte. Erinnerst du dich daran?«
    »Aber ja!«
    »So geht’s mir. Der heutige Abend, das Brown Derby, der bedauernswerte Kerl mitsamt meinen Tränen: ich schmeiße es einfach weg.«
    »Die Nacht ist noch nicht vorüber. Und dieses Gesicht kannst du nicht vergessen. Hast du das Monster erkannt oder nicht?«
    »Herrje! Wir sind kurz vor unserem ersten richtigen Schwergewichtskrach. Mach mal halblang.«
    » Hast du ihn erkannt?«
    »Er war nicht zu erkennen.«
    »Seine Augen. Augen verändern sich nicht.«
    »Laß mich in Ruhe!« brüllte sie.
    »Na schön«, grummelte ich. »Ich lasse dich in Ruhe.«
    »Da hast du’s.« Tränenperlen stoben ihr aus dem Gesicht. »Ich liebe dich schon wieder.« Ein zaghaftes Lächeln huschte über ihr

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