Friedhof für Verrückte
beruhigte ich sie. »Vielleicht noch einen Monat, dann mache ich mich auf in den Süden, um meinen ersten Roman zu beenden.«
»Darf ich dich begleiten? Noch einmal nach Mexicali und Calexico, südlich von San Diego, kurz vor Hermosillo, nackt baden im Mondlicht, ha, nein, du in lumpigen Shorts.«
»Schön wär’s. Aber jetzt heißt es ich und Peg, Constance, Peg und ich.«
»Ach, von mir aus. Küß mich.«
Ich zögerte, und so gab sie mir einen Schmatzer, der das gesamte Tanksystem eines Wohnblocks in Wallung gebracht, das kalte Wasser im Nu erhitzt hätte.
Das Tor öffnete sich.
Wir fuhren hinein, zwei Verrückte um Mitternacht.
Als wir uns dem großen Platz näherten, auf dem es von Soldaten und Kaufleuten wimmelte, kam Fritz Wong mit großen Schritten auf uns zu. »Herrgott noch mal! Alles ist bereit für deine Szene. Aber dieser besoffene unitarische Baptist ist verschwunden. Weißt du, wo sich der Schweinepriester versteckt?«
»Haben Sie bei Aimee Semple McPherson angerufen?«
»Die ist tot!«
»Oder bei den Holy Rollers. Oder bei den Manly P. Hall Universalisten. Oder –«
»Herrgott nochmal«, brüllte Fritz. »Es ist Mitternacht! Die haben alle zu.«
»Haben Sie auf dem Kalvarienberg nachgesehen? Er treibt sich dort wirklich manchmal herum.«
»Kalvarienberg!« Fritz stürmte von dannen. »Sucht auf dem Kalvarienberg! Gethsemane!« Fritz flehte die Sterne an. »Vater im Himmel, warum hast du mir diesen Manischewitz geschickt? Kann mal jemand herkommen? Wir müssen für morgen zwei Millionen Heuschrecken für die Plage mieten!«
Eine Unzahl von Assistenten zerstob in alle Richtungen. Auch ich machte mich auf den Weg. Constance hielt mich am Ellbogen fest.
Mein Blick wanderte über die Fassade von Notre Dame.
Constance folgte meinem Blick.
»Geh nicht dort hinauf«, flüsterte sie.
»Ein perfektes Versteck für J. C.«
»Dort oben ist alles nur Fassade, nichts dahinter. Du mußt nur über irgend etwas stolpern, und schon fällst du herab wie die Steine, die der Glöckner auf die Menge schleuderte.«
»Das war doch nur ein Film, Constance!«
»Hältst du das hier für die Wirklichkeit?«
Constance schauderte. Ich sehnte mich nach der alten Rattigan, die immer nur lachte. »Ich habe gerade eben etwas gesehen. Dort oben am Glockenturm. Es hat sich bewegt.«
»Vielleicht ist es J. C.«, lenkte ich ein. »Solange die anderen den Kalvarienberg auf den Kopf stellen, kann ich mich dort oben umsehen.«
»Ich dachte, du leidest unter Höhenangst.«
Ich sah Schatten über die Fassade von Notre Dame huschen.
»Verdammter Narr«, murmelte Constance. »Dann mal los. Hole Jesus von dort oben herunter, bevor er sich in einen steinernen Dämon verwandelt. Rette Jesus.«
»Er ist bereits errettet!«
Nach hundert Metern drehte ich mich um. Constance wärmte sich die Finger an einem Lagerfeuer der römischen Legionäre.
40
Vor der Kathedrale zögerte ich einen Moment; vor zweierlei hatte ich eine Heidenangst: vor dem Hineingehen und dann vor dem Hinaufgehen. Erschrocken sah ich mich um und schnüffelte. Ein tiefer Atemzug, ausatmen … »Herrje. Räucherstäbchen! Und Kerzenqualm! Jemand muß – J. C?«
Ich tastete mich durch das Portal und blieb stehen.
Oben im Strebewerk bewegte sich ein großes Etwas.
Ich spähte angestrengt zwischen den Leinwandfetzen, den Sperrholzfassaden und den Schatten der Dämonen nach oben, um mich zu vergewissern, ob sich dort im Dunkel der Kathedrale tatsächlich etwas bewegte.
Wer hatte die Räucherstäbchen angezündet? Wie lange war es her, daß der Wind die Kerzen ausgeblasen hatte?
Von weit oben rieselte Staub in einer durchsichtigen Wolke herab.
J.C.? Wenn du fällst, dachte ich, wer rettet dann den Erretter?
Schweigen war die einzige Antwort auf mein Schweigen.
Nun denn …
Ich, der Feigling vor dem Herrn, mußte mich also Stufe für Stufe in der Dunkelheit die Leiter hinaufziehen. Jeden Augenblick konnten, so fürchtete ich, die großen Glocken losgehen und mich nach unten schleudern. Ich kniff die Augen zu und kletterte weiter.
Oben auf dem Turm blieb ich eine lange Weile stehen. Ich preßte die Hände gegen mein Herz und bereute gründlich, hier oben zu sein statt dort unten, wo die Römermeute im Licht der Scheinwerfer bierselig durch die Gassen des Studios herbeieilte, um Rattigan, den königlichen Besuch, zu bewundern.
Wenn ich jetzt sterbe, dachte ich, hört das keiner von denen.
»J. C.«, rief ich leise in die
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