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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Er feuerte einen Blick auf J. C. ab und atmete dann tief durch, bis seine Lungen leer waren.
    »Das soll Jesus Christus sein? Sieht eher aus wie Methusalem. Knallt ihm eine Tonne 33er Gesichtsmaske drauf und zieht ihm das Doppelkinn nach hinten. Herrschaft noch mal, es ist Zeit für die Mittagspause. Noch mehr Pannen, noch mehr Zeit vertrödelt. Wie kannst du es wagen, zu spät zu kommen? Für wen zum Teufel hältst du dich eigentlich?«
    »Für Christus«, sagte J. C. mit aller angebrachten Bescheidenheit. »Das solltest du nie vergessen.«
    »Schafft mir den Kerl aus den Augen! Make-up! Mittagspause! In einer Stunde wieder hier!« brüllte Fritz und hätte mir beinahe die Linse, meine Medaille, wieder zurückgegeben. Dann blieb er verbittert vor dem Holzkohlenfeuer stehen, als wolle er jeden Augenblick zwecks Selbstverbrennung hineinhüpfen.
    Währenddessen stand auf der anderen Seite der Grube das Wolfsrudel. Manny zählte die verlorenen Dollars, die mit jedem vertanen Augenblick bündelweise in Flammen aufzugehen schienen. Den guten Doc juckte das Skalpell in seiner Hand, die er in der Hosentasche geballt hielt. Und Lenins Kosmetologe grinste sein permanentes Conrad-Veidt-Grinsen, das wie ein Melonenschnitz über seinem Kinn klaffte. Ihre Blicke hatten sich inzwischen von mir abgewandt und zum Zwecke der unentrinnbaren Verurteilung und ewigen Verdammnis auf J. C. konzentriert.
    Das Ganze war wie ein Erschießungskommando, das eine endlose Salve abfeuerte.
    J. C. wankte und zuckte, als würde er getroffen.
    Gerade als ihn Grocs Make-up-Assistenten wegführen wollten, passierte es.
    Ein leises Zischen war zu hören, als wäre ein einzelner Regentropfen in die glühenden Kohlen gefallen.
    Wir alle schauten hinunter, und dann wieder hoch – auf J. C., der seine Hände ausgestreckt über dem Feuer hielt. Er betrachtete seine Handgelenke mit großer Neugier.
    Sie bluteten.
    »Ohmeingott«, sagte Constance. »Tut doch etwas!«
    »Und was?« schrie Fritz.
    J. C. sagte seelenruhig: »Nimm die Szene auf.«
    »Nein, und nochmals nein!« kreischte Fritz. »Johannes der Täufer sah besser aus als du – selbst mit abgeschlagenem Kopf!«
    »In diesem Fall«, J. C. deutete mit dem Kinn auf Stanislau Groc und Doc Phillips, die nicht weit von ihm entfernt wie der glückliche Hanswurst und die düstere Apokalypse dem Schauspiel folgten, »in diesem Fall sollen die mich zunähen und verbinden, bis wir soweit sind.«
    »Wie machst du das bloß?« Constance starrte auf seine Handgelenke.
    »Das kommt automatisch, zusammen mit dem Text.«
    »Los, mach dich irgendwo nützlich«, sagte J. C. zu mir.
    »Und nimm die Frau mit«, befahl Fritz. »Ich kenne sie nicht.«
    »O doch«, sagte Constance. »Laguna Beach, vierter Juli 1926.«
    »Das war in einem anderen Land, in einer anderen Zeit.« Fritz schlug eine unsichtbare Türe zu.
    »Ja.« Constance hielt inne. Etwas in ihr fiel in sich zusammen. »Ja, das stimmt.«
    Doc Phillips näherte sich J. C.s linkem Handgelenk, Groc tauchte zu seiner Rechten auf.
    J. C. würdigte sie keines Blickes. Er richtete seinen Blick auf den verdunkelten Himmel.
    Dann drehte er die Handgelenke nach oben und streckte die Hände aus, so daß man aus der Nähe sehen konnte, wie das Leben aus seinen frischen Wundmalen tropfte.
    »Vorsichtig«, sagte er.
    Ich trat aus dem Lichtkreis heraus. Ein kleines Mädchen folgte mir, das sich unterwegs bei jedem Schritt in eine erwachsene Frau zurückverwandelte.
     

43
     
    »Wohin gehen wir eigentlich?« fragte Constance.
    »Ich? Zurück in die Vergangenheit. Und ich weiß auch, wer die Moviola bedient, um das zu bewerkstelligen. Und du? Du bleibst hier, trinkst deinen Kaffee und rührst dich nicht vom Fleck. Setz dich hin. Ich bin bald wieder da.«
    »Wenn ich nicht mehr hier bin«, sagte Constance und setzte sich an einen Tisch, der für die Komparsen unter freiem Himmel aufgestellt war, »dann such mich bei den Männern in der Turnhalle.« Sie winkte zum Abschied mit einem Doughnut.
    Ich machte mich allein in die Dunkelheit davon. Sehr viel Orte, an denen ich noch suchen konnte, blieben nicht mehr übrig. Ich machte mich jetzt zu einem Bereich des Studiogeländes auf, den ich noch nie betreten hatte. Dort herrschte eine andere Zeit. Der Geist von Arbuthnots Filmen überdauerte hier und vielleicht auch der Geist meines eigenen Ich als kleiner Junge, wie ich um die Mittagszeit um die Studiomauern geschlichen bin.
    Als ich so vor mich hinmarschierte, bedauerte ich

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