Friedhof für Verrückte
flimmernde Gestalt löst sich in ihre Atome auf. Und Jesus Christus ist von uns gegangen. Die Fußspuren, die er im Sand zurückgelassen hat, werden vom Winde verweht. Das ist deine zweite Himmelfahrt, im Anschluß an das Abendmahl nach dem Letzten Abendmahl. Die Jünger weinen und klagen und ziehen dann hinaus in alle Städte der Welt, um dort die Vergebung der Sünden zu predigen. Und wenn der neue Tag erwacht, verwehen auch ihre Fußspuren im Sand, THE END .«
Ich wartete und lauschte meinem Atem und meinem Herzschlag.
Auch J. C. wartete ab. Schließlich sagte er leise und verwundert: »Ich komme runter.«
42
Vom Drehort her, wo alles auf uns wartete – die Statisten, die brutzelnden Fische auf dem Holzkohlengrill und der verrückte Fritz – strahlte ein heller Lichtschein herüber.
Als wir näherkamen, sahen wir eine Frau, die an der Einmündung einer kleinen Studiogasse stand. Ihre Gestalt hob sich als dunkler Schemen von dem erleuchteten Hintergrund ab.
Als sie uns kommen sah, lief sie uns entgegen und blieb dann bei J. C.s Anblick plötzlich stehen.
»Meine Herren«, sagte J. C. »Es ist diese Rattigan!«
Constances beinahe wilder Blick wanderte von J. C. zu mir und wieder zurück.
»Was soll ich jetzt tun?« fragte sie.
»Was …«
»So eine verrückte Nacht. Vor einer Stunde habe ich wegen eines schrecklichen Fotos geweint, und nun …«, sie schaute J. C. an und ließ ihren Tränen freien Lauf. »Ich habe dir mein ganzes Leben lang begegnen wollen. Und jetzt stehst du vor mir.«
Das Gewicht ihrer Worte ließ sie langsam auf die Knie sinken.
»Segne mich, Jesus«, hauchte sie.
J. C. schreckte zurück, als habe er Tote zum Leben erweckt. »Steh auf, Frau!« rief er.
»Segne mich, Jesus«, sagte Constance. Und dann, mehr zu sich selbst: »Vater im Himmel, ich bin wieder sieben Jahre alt, in meinem weißen Kommunionskleid, es ist Ostersonntag und die Welt ist so gut, wie sie früher war.«
»Steh auf, junge Frau«, sagte J. C. leiser.
Doch sie bewegte sich nicht und schloß erwartungsvoll die Augen.
Ihre Lippen formten tonlos die Worte: Segne mich.
Und dann streckte J. O, gezwungen, sich zu fügen, und seine Rolle demütig annehmend, langsam die Hände aus und legte sie auf ihr Haupt. Als sie den sanften Druck der Hände spürte, rollten noch mehr Tränen über ihr Gesicht. Ihr Mund bebte. Ihre Hände flogen nach oben, um die Berührung festzuhalten, um sie noch einen Augenblick länger zu spüren.
»Mein Kind«, sagte J. C. sanft, »ich segne dich.«
Ich schaute auf die kniende Constance Rattigan und dachte bei mir: Du meine Welt, wie tief bist du gesunken. Katholisches Schuldempfinden plus die Übertreibungen einer Schauspielerin.
Constance erhob sich und wandte sich mit halbgeschlossenen Augen dem Licht zu, dem Holzkohlenfeuer, das noch immer auf uns wartete.
Uns blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
Eine riesige Menschenmenge hatte sich dort versammelt. Sämtliche Statisten, die früher am Tag in anderen Szenen mitgewirkt hatten, plus mehrere Studiobosse und sonstige Herumtreiber. Als wir auf dem Platz angekommen waren, sprang Constance mit der Leichtigkeit einer Person von dannen, die gerade vierzig Pfund abgenommen hatte. Ich fragte mich, wie lange sie wohl ein kleines Mädchen bleiben würde.
Ich erblickte Manny hinter den Flammen, auf der anderen Seite des Platzes, außerdem Doc Phillips und Groc.
Ihre Augen fixierten mich mit einer Gewalt, daß ich wie angewurzelt stehenblieb. Es sah fast so aus, als machten sie mir einen Vorwurf daraus, daß der Messias wieder aufgetaucht war, daß ich den Erlöser erlöst und das Tagesbudget gerettet hatte.
Mannys Augen waren voller Zweifel und Mißtrauen, in Docs Blick lag blanke Gehässigkeit und Groc sah mich weinselig an. Vielleicht waren sie gekommen, um Jesus Christus, und mich gleich dazu, auf einem Bratspieß zu rösten. Wie auch immer, als J. C. ohne Zögern an den Rand der feurigen Grube trat, erholte sich Fritz von seinem Wutanfall. Er schielte J. C. kurzsichtig an und brüllte: »Es wurde aber auch Zeit! Um ein Haar hätten wir die Grillparty abgeblasen. Monokel!«
Niemand rührte sich. Alle blickten sich um.
»Monokel!« rief Fritz noch einmal.
Da wurde mir klar, daß er die mir vor einigen Stunden so feierlich verliehene Linse jetzt zurückforderte.
Ich schoß auf ihn zu, legte ihm die Linse in die ausgestreckte Hand und trat einen Schritt zurück, als er sie wie ein Stück Munition in sein Auge rammte.
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