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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Autoren. Dabei müßte man annehmen, die Narren wären neugierig darauf, wie ich ihnen die Haare schneide und die Säume kürze. Einen Augenblick!«
    Sie machte den Riegel der Fliegentür auf und zog mich hinein. Wie ein Schlafwandler ging ich auf die Moviola zu und blinzelte auf den Bildschirm.
    Maggie stellte mich auf die Probe: »Erinnern Sie sich an ihn?«
    »Erich von Stroheim«, sagte ich voller Staunen. »Der Film wurde ’21 hier gedreht, ist aber verschollen.«
    »Ich habe ihn gefunden!«
    »Weiß das Studio davon?«
    »Diese Armleuchter? Nein! Die wissen ja nicht einmal das zu schätzen, was sie haben !«
    »Haben Sie den kompletten Film?«
    »Jawohl! Und wenn ich in die Grube fahre, kriegt ihn das Museum of Modern Art. Sehen Sie nur!«
    Maggie Botwin machte sich an einem Projektor zu schaffen, der an ihrer Moviola angeschlossen war und sofort anfing, Bilder an die Wand zu werfen. Von Stroheim stolzierte wie ein Pfau über die Wandtäfelung.
    Maggie schaltete aus und machte sich daran, eine andere Rolle einzulegen.
    Während sie hantierte, beugte ich mich plötzlich nach vorne. Ich sah eine kleine, grüne Filmbüchse, die ganz anders als die anderen aussah und die auf dem Tresen zwischen zwei Dutzend anderer Büchsen lag.
    Im Gegensatz zu den anderen war auf dieser Büchse kein Titel aufgedruckt, auf dem Deckel prangte lediglich ein mit Tintenstift gemalter, sehr kleiner Dinosaurier.
    Maggie verfolgte meinen Blick. »Was ist denn?«
    »Wie lange haben Sie diesen Film schon?«
    »Wollen Sie ihn? Das ist der Versuch, den Ihr Kollege Roy vor drei Tagen zum Entwickeln hier abgegeben hat.«
    »Haben Sie schon mal reingeschaut?«
    »Sie etwa nicht? Man will ihn feuern deswegen. Was war das für eine Geschichte? Keiner hat etwas verlauten lassen. In der Büchse sind nur dreißig Sekunden. Allerdings die besten dreißig Sekunden, die ich je gesehen habe. Besser als Dracula oder Frankenstein. Aber was verstehe ich schon davon?«
    Mein Puls hämmerte, als ich die Filmbüchse in meine Manteltasche steckte.
    »Ein sehr netter Mann, dieser Roy.« Maggie fädelte einen neuen Filmstreifen in ihre Moviola. »Für den würde ich alles tun. Na ja. Möchten Sie die einzig existierende intakte Kopie von Gebrochene Blüten sehen? Die fehlenden Stücke aus The Circus? Die zensierte Rolle von Harold Lloyds Drachentöter? Und das ist noch nicht alles …«
    Maggie Botwin hielt inne, trunken von ihrer Kinovergangenheit und meiner ungeteilten Aufmerksamkeit.
    »Doch – ich denke, man kann Ihnen vertrauen.« Wieder unterbrach sie sich. »Aber ich verplaudere mich. Sie sind bestimmt nicht hierhergekommen, um zuzuhören, wie eine alte Henne vierzig Jahre alte Eier legt. Wie kommt es, daß Sie der einzige Autor sind, der jemals diese Stufen erklommen hat?«
    Arbuthnot, Clarence, Roy, das Monster, dachte ich, aber ich konnte es nicht aussprechen.
    Maggie Botwin schob eine massive Schranktür zur Seite. Dahinter standen in fünf Regalen gut vierzig Filmrollen aufgereiht, die seitlich mit Titeln versehen waren. Sie drückte mir eine der Rollen in die Hand. Mein Blick fiel auf den mit großer Schrift aufgemalten Titel: Crazy Youths.
    »Nein, Sie müssen den Aufkleber mit den kleinen Druckbuchstaben lesen, auf dem Deckel«, sagte Maggie.
    »Intoleranz!«
    »Meine private, ungekürzte Version«, sagte Maggie Botwin lachend. »Ich habe Griffith geholfen. Damals sind einige der besten Sachen herausgeschnitten worden. Als ich allein war, habe ich das, was fehlte, wieder eingefügt. Dies hier ist die einzige komplette Fassung von Intoleranz überhaupt. Und hier!«
    Maggie kicherte vergnügt wie ein junges Mädchen auf einem Geburtstagsfest und breitete weitere Schätze vor mir aus: Zwei Waisen im Sturm und London after Midnight.
    »Bei diesen Filmen habe ich als Assistentin oder zumindest als Aushilfe mitgearbeitet. In der Nacht habe ich nur für mich von den herausgenommenen Stücken Positivkopien gemacht! Sind Sie bereit? Hier!«
    Sie wuchtete mir eine Büchse mit der Aufschrift Gier in die Arme.
    »Nicht mal Stroheim hat diese zwanzigstündige Fassung!«
    »Warum haben andere Cutter nicht ebenfalls daran gedacht, so etwas zu tun?«
    »Weil das alles ängstliche Mäuschen sind, und ich bin die Nachteule«, krächzte Maggie Botwin. »Nächstes Jahr schicke ich die Rollen gesammelt an das Museum, zusammen mit einem Brief, als Schenkung. Die Studios werden mich natürlich zu belangen versuchen, aber die Filme werden für die nächsten vierzig

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