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Friedhof für Verrückte

Friedhof für Verrückte

Titel: Friedhof für Verrückte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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ich eine lange, düstere Brandung sich auf eine unwirkliche Küste zubewegen zu sehen.
    Wellenreiten, flüsterte Constance.
    Das war das Signal. Ich geriet in Bewegung, stieg weiter hinab, mit geschlossenen Augen, kein Blick mehr in den Abgrund, bis ich unten angekommen war und wieder auf festem Boden stand. Sofort rechnete ich damit, von dem Monster gepackt und kurz und klein gehauen zu werden, von Händen, die dieses Mal nicht zu meiner Rettung ausgestreckt waren, sondern um mich zu töten.
    Doch weit und breit war kein Monster zu sehen. Nur das leere Taufbecken, in dessen Vertiefung eine Handvoll Kirchenstaub, die erloschenen Kerzen und die abgebrannten Räucherstäbchen lagen.
    Ein letztes Mal blickte ich durch die Kulissenfassade hoch in den Glockenturm. Wer auch immer hinaufgeklettert war, mußte jetzt oben angelangt sein.
    Einen halben Kontinent weiter ließ sich eine ausgelassene Meute auf dem Kalvarienberg gehen, wie Samstag nachmittags beim Football.
    J. C, dachte ich, wenn du nicht hier bist, wo bist du dann?
     
     

41
     
    Diejenigen, die den Kalvarienberg absuchen gegangen waren, hatten ihre Aufgabe nicht sehr ernst genommen. Sie waren hinaufgestiegen und gleich wieder gegangen, der Hügel ruhte verlassen unter dem Sternenzelt. Der Wind fuhr darüber hinweg und wirbelte Staub vor sich her, am Fuß der drei Kreuze, die aussahen, als seien sie schon immer dort gestanden, lange bevor das Studio um sie herum aufgebaut wurde.
    Ich rannte zum mittleren Kreuz. Ich konnte nicht bis hinauf sehen, so dunkel war die Nacht. Nur aus weiter Ferne flackerten mitunter Lichter hinüber, von dort unten, wo Antipas regierte und Fritz Wong tobte, und wo die Römer in einer großen Bierdunstglocke von den Make-up-Hallen zum Gerichtsplatz marschierten.
    Ich berührte das Kreuz, schwankte, und schrie blindlings nach oben: »J. C!«
    Keine Antwort. Ich versuchte es erneut, mit zittriger Stimme. Raschelnd rollte ein kleines Büschel Präriegras vorbei.
    »J. C!« Ich brüllte fast.
    Und endlich ertönte vom Himmel herab eine Stimme.
    »Niemand dieses Namens wohnt in dieser Straße, auf diesem Hügel, auf diesem Kreuz«, murmelte eine traurige Stimme.
    »Wer du auch sein magst, komm verdammt noch mal herunter!«
    Ich tastete meine Umgebung ab in der Hoffnung, auf Sprossen zu stoßen. Die Dunkelheit um mich herum ängstigte mich. »Wie bist du da hinaufgekommen?«
    »Da steht eine Leiter, und ich bin auch nicht festgenagelt. Ich halte mich nur an Haken fest, außerdem gibt es einen kleinen Vorsprung für die Füße. Es ist sehr friedlich hier oben. Manchmal bleibe ich neun Stunden hier und büße meine Sünden ab.«
    »J. C!« schrie ich hinauf. »Ich kann nicht bleiben. Ich fürchte mich! Was treibst du da?«
    »Erinnerst du dich an all die Heuschober und Hühnerfedern, in denen ich mich herumgewälzt habe?« kam J. C.s Stimme vom Himmel. »Siehst du die Federn wie Schneeflocken herabfallen? Wenn ich hier herunterkomme, gehe ich jeden Tag zur Beichte! Ich muß mein Gewissen um zehntausend Frauen erleichtern. Ich nenne die exakten Maße, soundsoviel Hinterteil, Busen, Schoß und Stöhnen, bis auch der letzte Priester sich irgendwohin faßt! Wenn ich schon nicht mehr an Seidenstrümpfen hinaufklettern darf, so will ich wenigstens gelegentlich den Puls eines Klerikers dermaßen zum Hyperventilieren bringen, daß er sich den weißen Stehkragen vom Hals reißt. Wie auch immer, ich bin jedenfalls hier oben allem Kummer enthoben. Ich beobachte die Nacht, und die Nacht beobachtet mich.«
    »Sie beobachtet auch mich, J. C. Ich fürchte mich vor der Dunkelheit in den Studiogassen und drüben bei Notre Dame. Ich bin eben dort gewesen.«
    »Bleib bloß weg von dort«, sagte J. C, plötzlich aufbrausend.
    »Warum? Hast du die Türme heute nacht beobachtet? Hast du etwas gesehen?«
    »Du sollst da wegbleiben, das ist alles. Es ist nicht sicher.«
    Weiß ich selbst, dachte ich, und blickte mich plötzlich um. »Was siehst du noch, J. C, ist es dort oben Tag oder Nacht?«
    J. C. ließ seinen Blick über die Schatten schweifen. Mit leiser Stimme sagte er: »Was soll in einem leeren Studio zu so später Stunde schon groß zu sehen sein?«
    »Alles mögliche!«
    »Richtig!« J. C. drehte den Kopf von Süden nach Norden und von Norden nach Süden. »Alles mögliche!«
    »In der Nacht von Halloween«, bohrte ich weiter und bezeichnete mit dem Kinn jene Stelle, ungefähr fünfzig Meter weiter nördlich, »hast du da nicht drüben auf der Mauer

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