Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
regelmäßige Bordellbesuche kaum leisten können – und dies nur zum Praktischen. Was er ganz sicher nie hatte, ist Sexualität in einer gelebten Beziehung. In Leipzig verguckte er sich in eine gastierende Schauspielerin; sie war keine Domina und keine «Tochter der Wüste», sondern eine Naive, zumindest in ihren Bühnenrollen, und der Student schrieb ihr einen Brief und wollte ihn abschicken zusammen mit seinen selbst komponierten Liedern – was er nie tat. Das Thema «Nietzsche und die Frauen» ist biographisch nicht besonders ergiebig, während die Hinweise aufs andersseitige Ufer, denen Autoren verschiedentlich nachgingen, außerordentlich spekulativ sind. Das Thema ist traurig bei ihm, minimal ausgedrückt. Ein Dionysier und Verklärer des «Lebens», dem es nicht greifbar wird in seinem vitalen und primären Teil. Schon das erklärt einiges darüber, wie dieses Leben verlief. Also: In Leipzig, im Hause Brockhaus, des Orientalisten Hermann Brockhaus und seiner Frau, traf Nietzsche den Meister. Noch war er kein Wagnerianer, sondern er wurde es erst. Er hatte gerade in Altenburg die «Meistersinger» gehört und gesehen, und Rohde gegenüber hat er damals bekannt: «Mir behagt an Wagner, was mir an Schopenhauer behagt, die ethische Luft, der faustische Duft, Kreuz, Tod und Gruft» – wobei zwischen diesem Opernbesuch und dem Resümee kaum ein Zusammenhang ist, denn gerade die «Meistersinger» mussten doch dem Romantiker in Thematik, Durchführung, Atmosphäre und Tonart fast eine Gegenwelt darstellen: Deutschland-Patriotismus, Alt-Nürnberg und das Aufmarschieren der Zünfte, glockenklares C-Dur und der wackere Schuster-Dichter Hans Sachs, der nur in seinem «Wahn»-Monolog schopenhauerisch melancholisch und weltflüchtig wird, ein «Happy End» schließlich, in dem die Pogner-Tochter den Dichter heiratet, der ein Junker ist und zugleich ein Genie, und die bombastische Verklärung der «heil’gen deutschen Kunst» vor der Kulisse Alt-Nürnbergs, die bleibend ist, wenn auch das Heil’ge Röm’sche Reich einmal im Dunst vergeht … Aber der junge Nietzsche erspürte in Wagner wohl schon etwas Grundsätzliches in den tieferen Schichten – und offenbar mehr, als er kannte und wusste zu diesem sehr frühen Zeitpunkt. Er gibt eine ziemlich lustige Szene zum Besten, eine Opernszene im Stile der OPERA BUFFA , Operette noch passender, wo es ja öfter um leichtlebige Herren geht, die über ihre Verhältnisse leben, der Damenwelt und den entsprechenden Etablissements mehr gewogen sind als den Alltagsverpflichtungen in irgendwelchen ineffizienten Gesandtschaften im ohnedies zerfallenden Reich, und infolgedessen auch ihre Schneiderrechnungen und anderes niemals bezahlen. In einem Brief an Rohde schilderte Nietzsche seine aufgeregten Vorbereitungen auf den Besuch – nicht bei einer anziehenden Dame, sondern bei Richard Wagner. Er hatte sich extra für diesen Besuch einen Frack anfertigen lassen, den der Schneidergeselle gerade noch rechtzeitig in seiner Wohnung vorbeibrachte, damit er ihn an dem Abend anziehen konnte. Dann aber forderte der gute Mann Barzahlung, was Nietzsche nicht konnte und auch nicht einsah, da er doch schließlich kreditwürdig sei. Aber es war einfach keine Zeit zu verlieren. «Der Mann wird dringender, die Zeit wird dringender; ich ergreife die Sachen und beginne sie anzuziehen, der Mann ergreift die Sachen und hindert mich, sie anzuziehen: Gewalt meiner Seite, Gewalt seiner Seite! Szene. Ich kämpfe im Hemde: denn ich will die neuen Hosen anziehen. Endlich Aufwand von Würde, feierliche Drohung, Verwünschung meines Schneiders und seines Helfershelfers, Racheschwur: währenddem entfernt sich das Männchen mit meinen Sachen. Ende des 2. Aktes: ich brüte im Hemde auf dem Sofa und betrachte einen schwarzen Rock, ob er für Richard gut genug ist.» Da man ja nur im Haus seiner Schwester war, im bürgerlichhäuslichen Rahmen und fast im intimen Kreis, war es wohl nicht so schlimm, dass Nietzsche nicht im (unbezahlten) Frack kommen konnte. Er hat den Abend in Wagners Kreis sehr genossen und Rohde mit einer gewissen Rührung davon berichtet. Wagner sei «ein fabelhaft lebhafter und feuriger Mann, der sehr schnell spricht, sehr witzig ist und eine Gesellschaft dieser privatesten Art ganz heiter macht» . Mit großer Wärme sprach Wagner von Schopenhauer, was Nietzsche wiederum sehr erwärmte. Dann las der Maestro aus seiner entstehenden Autobiographie vor und gab einige erheiternde Szenen aus seinem
Weitere Kostenlose Bücher