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Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)

Titel: Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Appel
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Nietzsche bildete sich so oft seine Wunschspiegelbilder, die ausnahmslos der Rubrik vom ungelebten Leben zufallen. Es kam nicht zum großen Traum von Paris, denn Nietzsche wurde Professor in Basel. Vorher aber leistete er seinen Dienst bei der in Naumburg stationierten Feldartillerie, was den Vorteil hatte, dass er zu Hause wohnen konnte, wieder bei Mutter, Schwester und Tanten. Etwas sonderbar scheint es, dass man ihn aufgrund seiner extremen Kurzsichtigkeit nicht umgehend ausmusterte, sondern ihm sogar noch eine Militärkarriere in Aussicht stellte. Schwester Elisabeth erklärte das so, dass der verantwortliche Militärarzt bei der Musterung nicht Nietzsches Sehkraft geprüft habe, sondern lediglich die Stärke seiner Brille, die ihm bei weitem zu schwach war (was schon so einiges sagt, wenn es stimmt, über das Militär). Er stieg da schnell auf vom Rekruten zum Gefreiten und Obergefreiten, am Ende zum Landwehr-Offizier, ausgebildet als Artillerist und Kavallerist, an den Waffen, zu Fuß und zu Pferde. Im Gegensatz zu Schulpforta oder der Universität stieg man hier fast automatisch auf, indem man nur tat, was einem gesagt wurde, was sehr bequem war und dem Auszubildenden keine weiteren Umstände machte. Disziplinierte Tagesabläufe war Nietzsche gewohnt, und er hatte als Akademiker auch bald Privilegien. Die Kavallerie war ihm sympathisch. Nietzsche hatte ein Faible für Pferde oder entwickelte es hier bei der Ausbildung, und nach früheren Schwierigkeiten beim Reitenlernen war er jetzt äußerst ambitioniert und offenbar auch erfolgreich als eifriger Reiter auf seinem Hengst Balduin. Er schloss Freundschaft mit Balduin, und er freute sich jeden Tag darauf, ihn zu sehen. «Wenn ich mit meinem Balduin auf dem großen Exerzierplatz herumsause» , schrieb er an Rohde, «so bin ich mit meinem Geschick sehr zufriedengestellt.» Auch der Hauptmann, dem er unterstellt war, war nett. Seine Monate als privilegierter Soldat, wenigstens nach den ersten beschwerlichen Wochen der Rekrutenausbildung, mit ausreichend Muße und Rückzugsmöglichkeiten nach erledigtem Dienst im gewohnten häuslichen Umfeld, waren vielleicht Nietzsches glücklichste Zeit. Er hatte Freunde in näherer und weiterer Ferne, an die er sehr aufgeräumt schrieb, Männerfreunde, Geistes- und Seelenpartner, die ihm im Leben doch fast das Wichtigste waren, mit denen er Pläne schmiedete und denen er seine geistigen Entwicklungen mitteilte. Er hatte einen stabilen Rahmen, doch er war vorläufig ohne Verantwortung und wandelte ganz auf eigener Spur. Von dem haltlosen, einsamen Abenteurertum seines freigeistigen Lebens und Schaffens mit den radikalen Konsequenzen für sein Denken und seine Existenz war er noch ebenso entfernt wie von der Endgültigkeit seiner professoralen Karriere, die ihm den Kunstsinn, die Experimentierfreude und grenzenlose Denkfreiheit einschränken würde. Dagegen konnte er sich als Offizierskandidat in freien Augenblicken, wohlverdient nach den Pflichten des Tages, völlig sich selbst überlassen als Literat, Philosoph, Aphorist, Wahrheitssuchender. Der Ertrag war beträchtlich: Notizen und Ausführungen, Kommentare und kleine Nebengedanken, alles, was ihm im Rahmen seiner Studien aperçuartig einfiel, was aber auch seine gewissenhafte Zunft unbekümmert überschritt, um sie stellenweise sogar leicht mokant ad absurdum zu führen. So notierte er etwa: «Die Frage, ob Demokrit viel oder wenig geschrieben habe, hätte sogar einen wohlwollenden und gläubigen Philologen alten Schlags beschäftigen müssen. Denn das Alterthum spricht sich dreimal über diesen Punkt aus und jedesmal in verschiedenem Sinne. Eine Lage also, würdig eines biblischen Synoptikers! Hier gab es Gelegenheit, Zeugnisse zu verdrehen, umzudeuten, wegzustreiten, kurz jene beliebte CONCORDIA DISCORS zu schaffen, die die Freude und das Ziel aller Synoptiker ist. Daß dies, einige neueren Ansätze abgerechnet, nicht geschehen ist, hat seinen Grund in dem merkwürdigen Umstande, daß eins dieser Zeugnisse dem stumpfen Sinn früherer Beobachter ganz verborgen blieb: während das andere Zeugniß mit einer solchen Bestimmtheit als Resultat kritischer Forschungen auftritt, daß es das dritte völlig in Schatten stellt und ihm höchstens die Bedeutung einer Schrulle, vielleicht sogar eines Abschreiberversehens übrig läßt. Die älteren Philologen kannten also nur ein Zeugniß des Alterthums über Demokrits Schriftstellerei und nahmen selbiges mit gläubigem und gehorsamem

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