Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
«wird in ihrer Qual zu einem Drang der Gott-Schöpfung, und dieser mußte sich nothwendig in Selbstvergottung äußern. Mit richtigem Blick erkannte Nietzsche im religiösen Phänomen die ungeheure Auslebung des individuellsten Verlangens, den Willen zur höchsten Selbstbeseligung. Dieser Individualismus, der als Kern in allem Religiösen steckt, dieser ‹sublime Egoismus›, der in allem Religiösen frei und naiv ausströmt, indem er sich auf eine von außen gegebene Lebens- oder Gottesmacht zu beziehen glaubt, wurde in ihm, dem ‹Erkennenden›, auf sich selbst zurückgeworfen. Und so gelangt er dazu, sich die ihm vom Verstande aufgedrungene Gottlosigkeit mit dem vermessenen Schlusse innerlich anzueignen: ‹W ENN es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein! Also gibt es keine Götter.› Diese Worte stehen im zweiten Theil des ‹Also sprach Zarathustra› (6); an sie lassen sich jene anderen anschließen (55): ‹U ND A NBETUNG WIRD NOCH IN DEINER E ITELKEIT SEIN!› In ihnen ist die ganze Gefahr ausgesprochen, die über dem ‹Einsamen› und ‹Einzelnen› schwebt, der sich spalten und verdoppeln muß. ‹Einer ist immer zu viel um mich. – – – immer Einmal Eins – das gibt auf die Dauer Zwei!› (Also sprach Zarathustra I 76.) Die Art, wie er sich zu dieser Zweiheit stellte, wie er sich gegen sie zur Wehre setzte oder ihr nachgab, und worin er sie jedesmal suchte, – das alles bedingt den Wandel seiner Erkenntnis, sowie die Eigenart seiner verschiedenen Geistesperioden – bis endlich seine Zweiheit ihm zu einer Hallucination und Vision, zu einer leibhaften Wesenheit wurde, die seinen Geist verdüsterte, seinen Verstand erstickte. Er vermochte nicht sich länger gegen sich selbst zu wehren: Dieses war das dionysische Drama vom ‹Schicksal der Seele› (Zur Genealogie der Moral, Vorrede XIII) in Nietzsche selbst. Die Einsamkeit des Innenlebens, in welcher der Geist über sich selbst hinausgelangen will, ist nirgends tiefer und schmerzvoller als zum Schluß. Man könnte sagen, die stärkste Mauer in dieser verhängnisvollen Selbstvermaurung sei ein zarter, glänzender, göttlicher Schein, der sie umgaukelt, eine Luftspiegelung, die ihm die eigenen Grenzen verwischt und verbirgt. Jeder Gang nach außen führt immer wieder in die Tiefe dieses Selbst zurück, das sich schließlich zu Gott und Welt, zu Himmel und Hölle werden muß – jeder Gang führt es einen Schritt weiter in seine letzte Tiefe und in seinen Untergang.»
Die Weggefährtin eines kurzen, aber berauschenden Sommers hat den unheimlichen Schatten dieses gefährdeten Wanderers früher als die meisten anderen an seiner Seite gesehen. Im vollen Sinn. Leben und Werk waren eins. Erst am Eingang zu Nietzsches letzter Philosophie, so Salomé, werde vollkommen klar, bis zu welchem Grade der religiöse Grundtrieb sein Wesen und sein Erkennen beherrschte. «Seine verschiedenen Philosophien sind ihm ebensoviele Gott-Surrogate, die ihm helfen sollen, ein mystisches Gott-Ideal außer seiner selbst entbehren zu können. Seine letzten Lehren enthalten nun das Eingeständnis, dass er dies nicht vermag. Und gerade deshalb stoßen wir in seinen letzten Werken wieder auf eine so leidenschaftliche Bekämpfung der Religion, des Gottesglaubens und des Erlösungsbedürfnisses, weil er sich ihnen so gefährlich nähert. Hier spricht aus ihm ein Haß der Angst und der Liebe, mit dem er sich seine eigene Gottesstärke einreden, seine menschliche Hilflosigkeit ausreden möchte. Denn wir werden sehen, kraft welcher Selbsttäuschung und geheimen List Nietzsche endlich den tragischen Conflict seines Lebens löst, – den Conflict, des Gottes zu bedürfen und dennoch den Gott leugnen zu müssen. Zuerst gestaltet er mit sehnsuchtstrunkener Phantasie, in Träumen und Verzückungen, visionengleich, das mystische Uebermenschen-Ideal, und dann, um sich vor sich selbst zu retten, sucht er, mit einem ungeheuren Sprung, sich mit demselben zu identificieren. So wird er zuletzt zu einer Doppelgestalt, halb kranker, leidender Mensch, halb erlöster, lachender Uebermensch. Das Eine ist er als Geschöpf, das Andere als Schöpfer, das Eine als Wirklichkeit, das Andere als mystisch gedachte Ueberwirklichkeit. Oft aber, während man seinen Reden darüber zuhört, empfindet man mit Grauen, daß er als Gegenstand der Anbetung hinstellt, was in Wahrheit auch für ihn nicht vorhanden ist, und man gedenkt seines Wortes, ‹– – – wer weiß, ob sich nicht bisher in
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