Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
allen großen Fällen eben das Gleiche begab: daß die Menge einen Gott anbetete, – und daß der ‹Gott› nur ein armes Opferthier war!› (Jenseits von Gut und Böse 269) .» Die Quintessenz der Wiederkunftslehre, die strahlende Lebensapotheose, welche Nietzsche damals aufstellte, bilde, so Salomé, einen so tiefen Gegensatz zu seiner eigenen qualvollen Lebensempfindung, «daß sie uns anmuthet wie eine unheimliche Maske». Das alles lag nahe beieinander: der Silser Sommer, das Zarathustra-Erlebnis, die Begegnung mit Lou, Bruch, Einsamkeit, und schließlich die hochgradig euphorisierte Niederschrift des «Zarathustra», erster Teil, im Februar 1883 in Rapallo, Italien. Den Zusammenhang des Wiederkunftsgedankens, den Nietzsche so hineingeschoben habe als harmlosen Einfall zwischen lauter andere harmlose Einfälle, mit der ernsten Schlussbetrachtung «Incipit tragoedia» nicht sehen zu wollen, so Lou, heiße, den Maskenscherz dieses Denkers, der an dergleichen Verhüllungen dann doch seinen Spaß hatte, für bare Münze zu nehmen.
Ausgerechnet in der Peterskirche in Rom fand die erste Begegnung Nietzsches und Lous statt, genauer gesagt die Dreierbegegnung dieser drei Gottesabtrünnigen. Rée hatte sich in einen Beichtstuhl geworfen, um gutes Licht zu haben für seine Gedankenblitze und Reflexionen, die er notierte, und Nietzsche soll zu Lou gesagt haben, als er zum ersten Mal vor ihr stand: «Von welchen Sternen sind wir uns hier einander zugefallen?» Eine poetische Einleitung. Lou bemerkt rückblickend, das gesucht Formvolle an ihm, dem Einsamen, Verborgenen und Verschwiegenen, habe sie zunächst frappiert, dann getäuscht, bis sie schließlich erkannt habe, dass dieser Einsame seine Maske doch nur so ungewandt trug wie jemand, der aus Wüsten und Gebirgen kommt, eben den Rock der Allerweltsleute trägt. Zarathustras Untergang gewissermaßen. Mit Paul Rée bewegte sich Lou bereits in einer anregenden Geistesgemeinschaft. Sie hatte ihn erst jüngst bei Malwida kennengelernt, und zwar in einer reichlich profanen Situation: Es klingelte, Trina, die Dienerin der Malwida, stürzte von der Haustür ins Zimmer, und Malwida raffte auf eine hastig geflüsterte Nachricht der Trina hin einen Berg Geld zusammen und trug es hinaus, wo Rée stand, der in Monte Carlo seine gesamte Barschaft verspielt hatte und dem Kellner der monegassischen Spielhölle geschwind das geliehene Reisegeld seiner Fahrt nach Rom zustellen musste. Paul Rée also war offensichtlich ein wenig weltlicher gesonnen als Friedrich Nietzsche (wozu auch nicht viel gehörte), doch ein Typ, der Frauenherzen höher schlagen ließ, war auch er ganz sicher nicht. Lou hatte sich in dieser kurzen, aber nichtsdestoweniger intensiven und anregenden Geistesgemeinschaft mit Rée bereits in den Kopf gesetzt, was sie mit diesem Freund realisieren wollte: eine Studien- und Wohngemeinschaft, nicht mehr und nicht weniger, und zwar in Paris oder in Wien oder auch notfalls in München. Sie hatte sich sogar schon die Raumgestaltung ziemlich konkret vorgestellt: zwei Schlafzimmer, eine Studierstube, Blumen (jeden Tag frisch) und eine wunderbare Bibliothek. Für die Moralvorstellungen ihrer Zeit war das ein Unding, regelrecht skandalös. Man war daher gezwungen, eine Anstandsdame für diese inopportune Lebensform, die man da andachte, wenigstens schon einmal in Erwägung zu ziehen: Lous Mutter vielleicht (Lou war davon nicht sehr begeistert) oder Malwida (die keine Lust hatte); in Paris ginge auch Olga, Malwidas Pflegetochter, die hier verheiratet war. Alles war noch sehr vage, aber Lou war begeistert von dieser Idee. Nietzsche fing sofort Feuer, und nach wenigen Gesprächen mit Lou war er mit von der Partie, wollte sich dem Studierbund, der Wohn- und Arbeitsgemeinschaft anschließen, wo immer sie sei. Seine Schwester könne gegebenenfalls auch als Anstandsdame fungieren, ließ er verzagt anklingen. In ihren Memoiren hat Lou Nietzsches Rolle in diesem Dreierbund ein wenig als das Hinzukommen eines lästigen Dritten durchklingen lassen. Nietzsche aber hat es selbstredend ganz anders gesehen. Was Lou selbst anging, spielte Eifersucht keine Rolle, denn sie wollte ja Rée auch nur als Geistesgenossen. Nietzsche aber war intellektuell eine so zündende Erfahrung, dass er Rée kurzfristig überschattete, jedenfalls in der Einzelepisode im thüringischen Tautenburg, einige Monate nach der Begegnung in Rom. Seine Gegenwart löste jedoch gleichzeitig auch Beklommenheit in ihr aus. Sie
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