Friedrich Nietzsche: Wanderer und freier Geist (German Edition)
bürgerlichen Welt und in seinem Zeitalter angelegt war. Dass Frauen aufopferungsvolle Wesen seien und dass eine Ehefrau ihn genauso mit Würsten und frischen Hemden versorgen würde, permanent um sein Wohl besorgt, wie seine Mutter und seine Schwester, davon ging Friedrich Nietzsche ganz sicher aus. In seinem Wanderleben kam er aber auch so immer ganz gut zurecht. Einmal berichtet er, wie er unter Anleitung seiner genuesischen Wirtin im Haus mit der Dachstube ein regionaltypisches Gericht gekocht hat – Hauptbestandteile Artischocken und Eier. Auch das also ist ein Bildausschnitt in seinem Lebensalbum: Nietzsche, am Herd stehend, mit einer Kochschürze – und warum auch nicht? Möglicherweise war sein Gericht sogar bekömmlich und schmackhaft, und es hat ihm Spaß gemacht, es selbst zuzubereiten.
Lou Salomé war weit von dem Gedanken entfernt, für irgendjemandes Hemden oder sein leibliches Wohlergehen sorgen zu wollen und die Rolle einer aufopferungsvollen Gattin zu spielen. Sie war auf dem Sprung in die akademische Freiheit, der Neugier des Wissens und der Neugier des Lebens verpflichtet. Lediglich ihre Gesundheit zwang sie zum Innehalten. Auch in ihren Memoiren, wie bei Malwida, besticht das Plastische, Lebensvolle, und es bildet einen bemerkenswerten Kontrast zu Nietzsches Weltlosigkeit und einem Leben, in dem auch die Orte seiner Biographie nur Kulissen sind für seine Geistesstationen. Sie ist mit fünf Brüdern aufgewachsen, als kleiner Wildfang, jüngstes Kind und heimlicher Liebling des Vaters, während die Mutter lieber einen weiteren Sohn gehabt hätte. Ihre Tendenz als Erwachsene, in Männerfreunden so häufig den Bruder zu sehen, den Kameraden, hat wohl damit zu tun. Man sprach Deutsch und Französisch zu Hause, war großzügig, durchaus weltlich gesinnt und von vertrauender Herzlichkeit. Roba, Lous zweiter Bruder, «elegantester Mazurkatänzer bei unseren winterlichen Hausbällen» , war von künstlerischer Begabung und sensitiver Natur, wurde aber vom Vater zum Ingenieur bestimmt, der dritte zum Kinderarzt, obwohl er doch Diplomat werden wollte. Nur das Mädchen, an das naturgemäß keine Erwartungen geknüpft wurden, ließ man gewähren. Doch die herkömmliche Frauenrolle war «Louise» oder auch «Ljola» von Beginn an suspekt. «Für einen Charakter wie den meiner Mutter» , schrieb sie zum Beispiel, habe es wohl bedeuten müssen, «ihre selbständige und aktive Natur ohne viel Federlesens im Weib- und Muttertum aufgehen zu lassen, dessen Würde der Frau nun mal von Gott verliehen worden war. Daraus ergab sich dann die Gehaltenheit, die Haltung, die sie sich aufzuerlegen für gut fand und von andern ebenfalls erwartete. Sonst möchte wohl irgendein Revolutionäres ihrem Blute nicht ganz fremd gewesen sein.» Dem «Erlebnis Rußland» widmet Lou Salomé in ihren Memoiren ein ganzes Kapitel. Je länger und dauerhafter sie später im westlichen Ausland lebte, umso stärker wurden ihr ihre russischen Wurzeln bewusst, obwohl sie ja familiär gar nicht gegeben, als Eindruck kindlicher und jugendlicher Lebensjahre in Sankt Petersburg jedoch umso prägender waren. Noch heute ist ihre Analyse russischer Mentalität, vor allem in Betrachtung der weiteren Geschichte des Landes, erhellend und anregend. Dieses Land würde zugrundegehen, bei der Übernahme der Errungenschaften des Westens meint die Autorin. «Nicht so liegt RUSSISCHES Land da, – noch bis in seine sibirischen Fernen gewissermaßen zugleich westwärts gewandt, als KöNNE es nicht haltmachen, endgültig aufhören, gelagert zwischen alle Einbrüche und Einflüsse von je und je, als sei dies eben seine Bestimmung: seine Breite zu beglaubigen durch Aufnahme noch des Fremdesten, sich durch Rechts und Links hindurch zur Synthese anzuschicken. Als sei seine eigene Unergründlichkeit, seine innere Allgemeinsamkeit eben dadurch keine Abwehr geworden, kein Fertiggewordenes, sondern der langsamere, weil vieles überschreitende, mit vielem sich belastende Gang eines ‹Nomadentums auf weite Sicht›: wandernd und wandernd von Ost nach West und wieder zurück, um ja nicht, zu früh seßhaft, von der kostbaren Bürde was zu verlieren, um DAFÜR seinen tänzerischen Fuß, seine Sangesfreude noch für die schwermütigsten seiner Lieder bereitzuhalten, die (vielleicht!) einem schon bevorstehenden Untergang vorwegnehmend den Ton verleihen. Der Mensch solcher Art erscheint heutzutage gewaltsam hineingerissen in Fortschritts-Ekstase, vergewaltigt zu
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