Friesengold (German Edition)
Greven umrundete den Jaguar wie Heywood Floyd den schwarzen Monolithen im Mondkrater Tycho. Nur die Musik von Ligeti fehlte. Den Wagen anzufassen, wagte er jedoch nicht, da er wusste, wie unbeliebt dieser Zugriff bei vielen Autobesitzern war. Nach zwei Umkreisungen blieb er vor der lang gezogenen Kühlerhaube stehen und nickte zustimmend mit einer Spur Neid auf die finanziellen Möglichkeiten, die der Adel immer noch zu haben schien. Gerade wollte er sich abschließend die Lederpolster näher betrachten, als ihm Pütthus die Hand auf die Schulter legte.
»Gerd, in die Villa wurde eingebrochen, nicht in den Wagen. Er war zur Tatzeit auch gar nicht hier und braucht daher auch nicht auf Spuren untersucht zu werden. Die Kollegen warten.«
»Ich komme«, murrte Greven und löste sich von dem exklusiven roten Sondermüll.
5
Die Gründerzeitvilla war eines jener Häuser, die, von außen betrachtet, viel größer wirken, als sie es innen tatsächlich sind. Das Foyer war großzügig und repräsentativ, die Treppe breit und aus dunkler Eiche. An den Wänden hingen Portraits aus vergangenen Epochen, die dem gängigen Klischee entsprachen, das auch Filme immer wieder gerne bedienten. Aristokraten hatten Ahnen auf Ölgemälden, Bürgerliche Eltern und Großeltern auf Fotos. Butler oder Hauspersonal konnte Greven indes nicht ausmachen. Zum Klischee gepasst hätte es auf jeden Fall.
Der Wohnraum, in den Pütthus ihn führte, war nicht größer als jener in Monas Gulfhof. Zwei Männer von der Spurensicherung gaben ihnen den Weg frei, zeigten den beiden Kommissaren aber auch Grenzen auf, die sie noch nicht überschreiten durften. Der Perserteppich war übersät mit Papieren, hier stieß Greven auf eine geleerte Schublade, die er mit ausladenden Schritten überwand. Schon auf den ersten Blick war die Ähnlichkeit mit Onkens Goldschmiede und seiner Wohnung zu erkennen. Die Schubladen lagen in einem Abstand von gut zwei Metern vor der großen Schrankwand, aus der sie stammten, auf dem Rücken. Aus der wuchtigen Schrankwand aus massivem Eichenholz stammten auch die gerupften Ordner. Das andere Mobiliar, eine Couch, einen sechseckigen Tisch, zwei Sessel, den Fernseher, die Musikanlage und die Boxen hatte der Einbrecher offenbar nicht angerührt. Mit kleinen Schritten, konzentrierter Miene und der rechten Hand am Kinn inspizierte Greven den Raum, durchmaß ihn mehrere Male von Ost nach West und von Nord nach Süd. Pütthus schwieg und beobachtete seinen Kollegen.
»Und, was denkst du?«
»Ich denke, das ist der Zufall, auf den ich gehofft habe«, antwortete Greven, ohne Pütthus anzusehen. »Das war mit ziemlicher Sicherheit dieselbe Person, die auch Onkens Goldschmiede und seine Wohnung durchsucht hat. Ein gute Tipp, Herbert, wirklich ein guter Tipp. Danke dafür.«
»Dafür nicht«, freute sich Pütthus.
»Beweisen kann ich es natürlich nicht, denn ich wette, auch hier hat unser Täter keine Fingerabdrücke hinterlassen.«
»Wahrscheinlich nicht. Und, so wie es bislang aussieht, wohl auch keine Haare«, ergänzte Pütthus. »Als wäre er kahl wie Kojak.«
»Er wird eine Motorradmütze getragen haben«, erwiderte Greven nüchtern, einen der Ordner näher betrachtend. »Aber immerhin wissen wir nun, dass er bei Onken nicht fündig geworden ist.«
»Somit können wir Frau von Reeten fragen, was er gesucht haben könnte«, setzte sein Kollege den Gedanken fort.
»Ganz richtig. Gleichzeitig müssen wir jedoch verhindern, dass unser Mörder sie nach dem gesuchten Objekt befragt. Denn wie das ausgeht, wissen wir ja.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, bemerkte Pütthus.
»Woran haben Sie nicht gedacht?«
Eine selbstbewusste, melodische Altstimme. Greven richtete sich auf und drehte sich um. In der Türzarge lehnte eine große, schlanke Frau, Ende dreißig, in einem eng anliegenden schwarzen Kleid. Schwarze Schnürstiefel. Ihr dunkelbraunes Haar war außergewöhnlich lang und voll, erreichte fast ihre Hüften. Ihr Gesicht war zart, besaß jedoch ausgeprägte Wangenknochen, über denen dunkle Augen thronten, die ihn intensiv fixierten. Als ihn der Blick traf, verschwand automatisch sein Bauchansatz, während er seiner Größe nachhalf und noch ein paar Zentimeter wuchs. Dann nahm er Anlauf, nicht ohne sehr genau auf die Modulation seiner Stimme zu achten.
»Hauptkommissar Greven. Gerd Greven.«
»Noch ein Kommissar?«, kommentierte die Aristokratin. »Ist denn dieser Einbruch so eine große Sache?
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