Friesengold (German Edition)
reichte ihr die Hand. Auch Greven wurde bedacht, der Blick des Unbekannten verweilte jedoch nur Sekunden auf ihm, der Druck der Hand war kraftvoll.
Der Mann outete sich als großer Bewunderer und begann umgehend, Mona einen Vortrag über ihre eigene Arbeit zu halten, über das Portrait im Allgemeinen und das verlorene Profil im Besonderen. Da kannte sich einer aus.
Greven aber klinkte sich aus, stahl sich unauffällig aus dem Wortschwall des eloquenten Kunstkritikers und zog sich an die kleine Bar zurück, die der Galerist im Eingangsbereich behelfsmäßig eingerichtet hatte. Ein Mädchen in einer roten Glitzerjacke, aber ohne Krawatte, lächelte ihn an und reichte ihm ein Glas Prosecco, das er dankend annahm und in einem Zug leerte. Mit dem zweiten Glas ließ er sich mehr Zeit.
Neue Gäste drängten an seinem Rücken vorbei in die Galerie, schoben ihn an den Rand des Geschehens, so dass er mit dem Glas jonglieren musste, um sich nicht sein Lieblingshemd zu bekleckern.
»Mona, mein Liebes!«, hörte er hinter sich eine schrille Stimme ausrufen. Erkennen konnte er seine Lebensgefährtin in der Menge allerdings nicht mehr, zu dicht gedrängt standen inzwischen die Gäste. Musik aus unsichtbaren Lautsprechern mischte sich plötzlich unter die Gespräche, ein Jazzquartett, Archie Shepp, Sonny Rollins oder Herbie Hancock. Die Gäste waren zu laut, um die Musiker identifizieren zu können, die der Vernissage einen Hauch von Party verliehen. Eine Laudatio wurde nicht gehalten, Mona hatte bewusst darauf verzichtet. Seit dem Eintreffen der ersten Gäste war ihre Ausstellung eröffnet.
Als er erneut Hände und Ellenbogen in seinem Rücken spürte, drehte er sich um und stand nach wenigen Schritten auf dem sorgfältig geräumten Bürgersteig, auf dem der Galerist zusätzlich einen roten Teppich ausgerollt hatte. Zu beiden Seiten des Eingangs brannten Öllampen auf schlanken Metallsäulen. Die Schneeluft war kalt, aber nicht eisig. Einzelne Flocken schlugen lautlos auf dem Boden auf. Er vermisste die Musik, die er gerne mit nach draußen genommen hätte, nicht nur, um die Musiker mit Namen nennen zu können. Sonny Rollins. Der hätte gut zu den einsamen Schneeflocken gepasst, zu der Windstille und den wenigen Straßengeräuschen, die an diesem Abend in die Auricher Innenstadt gelangten.
Greven leerte das Glas und richtete den Blick auf den Himmel, der seine Sterne vollständig verbarg. Ein Auto fuhr vor und parkte gegenüber. Zwei frische Gäste, die es eilig hatten. Auf dem Weg über die Straße wurden Vorwürfe ausgetauscht. Von unauffindbaren Schuhen, unnötigen Telefonaten und Badezimmerblockaden war die Rede, bevor das Paar ein Lächeln aufsetzte und in die Menschentraube eintauchte.
Dann kehrte wieder Ruhe ein. Greven wartete einen Augenblick und folgte den beiden, allerdings nur, um sein leeres Glas gegen ein gefülltes auszutauschen. Aus unbekannten Gründen hatte der Galerist sehr kleine Gläser gewählt, die allenfalls 0,1 Liter aufnehmen konnten. Dafür war der Prosecco gut, vor allem aber gut gekühlt, was in dieser Jahreszeit allerdings keine besondere Aufgabe darstellte.
Es war nicht das erste Mal, dass Greven sich den Ritualen einer Vernissage entzog, die gelegentlich sein Showtalent und seine Toleranz gegenüber allzu anstrengenden sozialen Darbietungen überforderten. Mona war zwar über diese kleinen Fluchten nicht sehr erfreut, hatte mit der Zeit aber ein gewisses Maß an Verständnis für sein Verhalten entwickelt. Ihre Kritik würde sich also in Grenzen halten.
Er hatte sich gerade wieder auf dem Bürgersteig neben dem roten Teppich eingefunden und den lautlosen Fall einiger Schneeflocken verfolgt, als ein weiterer Wagen vorfuhr und genau vor seinen Füßen anhielt. Diesen Premiumparkplatz hatten bislang alle Gäste verschmäht, offenbar, weil er sich unmittelbar vor dem Eingang der Galerie befand. Nun zwängte sich ein roter Jaguar mit blubberndem Motor in die Lücke, dem routiniert eine elegant gekleidete Frau entstieg. Routiniert, weil es für große Menschen gar nicht so leicht war, in dieses Auto ein- und auch wieder auszusteigen. Für Sophie von Reeten stellte diese Übung jedoch kein Problem dar. Die Gewohnheit im Umgang mit dem seltenen Sportwagen war nicht zu übersehen.
»Hallo, Herr Kommissar«, hauchte die Witwe in Schwarz und öffnete ihren fast bodenlangen Mantel, unter dem ein ebenfalls schwarzer Lederrock zum Vorschein kam, der die Knie nicht erreichte. Schwarze, gemusterte
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